Rz. 46
Grundsätzlich haftet der Schädiger nach § 276 BGB für Vorsatz und jede Form der Fahrlässigkeit. Bei Vorsatztaten des unmittelbaren Schädigers besteht jedoch nach § 103 VVG für den Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer ein subjektiver Risikoausschluss. Der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer haftet somit nur für jede Form der Fahrlässigkeit seines Versicherungsnehmers (Schädigers) – § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 103 VVG.
Rz. 47
Beachte
Oft vermutet der Mandant, der Gegner habe den Unfall vorsätzlich herbeigeführt. Eine solche überspitzte und oft gar nicht verifizierbare Behauptung würde wegen des subjektiven Risikoausschlusses für Vorsatztaten (§ 103 VVG) zur Leistungsfreiheit des gegnerischen KH-Versicherers führen und gehört daher keinesfalls in eine Schutzschrift oder die Sachverhaltsschilderung an den gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherer.
a) Allgemeine Verhaltenspflichten
Rz. 48
Die Verhaltenspflichten der Verkehrsteilnehmer sind vor allem nach den Vorschriften der StVO zu beurteilen.
Rz. 49
Für einen Unfallbeteiligten kann ein Verschulden entfallen, wenn zu seinen Gunsten der so genannte Vertrauensgrundsatz eingreift (BGH NZV 1998, 396). So darf ein Wartepflichtiger im Allgemeinen darauf vertrauen, dass ein rechts blinkender Vorfahrtsberechtigter auch tatsächlich nach rechts abbiegen wird, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die Anlass zu Zweifeln an dieser Absicht begründen (OLG München DAR 1998, 474). Hiernach kann jeder Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr darauf vertrauen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer verkehrsgerecht verhalten. Das gilt zumindest dann, wenn vernünftigerweise mit einem Verkehrsverstoß des anderen Verkehrsteilnehmers nicht zu rechnen ist.
Rz. 50
Beispiel
Der mit vorschriftsmäßiger Beleuchtung fahrende Kraftfahrer braucht nicht damit zu rechnen, dass ihm auf der Straßenmitte bei Dunkelheit plötzlich ein Fußgänger entgegenkommt (BGH VersR 1975, 1121).
Aber
Der Vertrauensgrundsatz kommt regelmäßig demjenigen nicht zugute, der sich selbst über Verkehrsregeln hinwegsetzt, die auch dem Schutz des unfallbeteiligten Verkehrsteilnehmers dienen (BGH zfs 2003, 334).
Rz. 51
Dagegen wird bei unklarer Verkehrslage von jedem Verkehrsteilnehmer besondere Aufmerksamkeit verlangt. In einem solchen Fall muss jeder Verkehrsteilnehmer seine eigene Verhaltensweise darauf einstellen und damit rechnen, dass der andere Verkehrsteilnehmer sich fehlerhaft verhalten kann (OLG Frankfurt VersR 1982, 1008).
Beispiel
Der hinter einem Lkw herfahrende Pkw-Fahrer darf einen plötzlich abbremsenden Lkw nicht überholen, solange dieser den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt und dabei zum äußersten rechten Fahrbahnrand ausweicht (Hentschel, § 5 StVO Rn 34).
b) Erhöhte Sorgfaltsanforderung nach der StVO
Rz. 52
Im Straßenverkehrsrecht gibt es qualifizierte Sorgfaltsanforderungen, welche die StVO den Verkehrsteilnehmern auferlegt und die bei der Verschuldensprüfung besonders zu beachten sind. Ihre Nichtbeachtung begründet regelmäßig einen Anscheinsbeweis für ein Alleinverschulden.
Rz. 53
Beachte
Immer dann, wenn die StVO die Formulierung "Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen" verwendet, wird vom Verkehrsteilnehmer höchstmögliche Sorgfalt verlangt. Damit wird aber keine Gefährdungshaftung statuiert.
Die Normen qualifizierter Sorgfaltsanforderungen sind im Einzelnen:
aa) Kinder, Hilfsbedürftige und ältere Menschen
Rz. 54
Nach § 3 Abs. 2a StVO müssen sich Fahrzeugführer gegenüber Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen – insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft – so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Rz. 55
Die Formulierung "so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist" verdeutlicht, dass der Gesetzgeber in § 3 Abs. 2a StVO drastisch erhöhte Sorgfaltsanforderungen an jeden Kraftfahrer stellt mit der Folge, dass grundsätzlich bei einem Unfall mit einem Kind eine Verschuldenshaftung des Kraftfahrers bereits immer dann anzunehmen ist, wenn sich ein Unfall überhaupt nur ereignet. Voraussetzung ist allerdings, dass der Kraftfahrer die in § 3 Abs. 2a StVO aufgezählten "verkehrsschwachen Personen" überhaupt rechtzeitig wahrnehmen konnte (SchlHOLG zfs 1998, 287; LG Osnabrück zfs 1998, 286).
Rz. 56
Von einem Kind im Sinne des § 3 Abs. 2a StVO kann dabei wohl nicht mehr bei einem erwachsen Wirkenden gesprochen werden. Es ist also im Hinblick auf die Verkehrsschwäche auch der äußere Anschein wichtig.
Beispiel
Ein Kraftfahrer fährt durch eine Straße, in der rechts und links Fahrzeuge geparkt sind, die den Blick auf die Bürgersteige stark beeinträchtigen. Plötzlich springen zwei siebenjährige Kinder hinter einem Fahrzeug hervor auf die Fahrbahn. Der Kraftfahrer fährt eines der Kinder an. In diesem Fall können ihm die gesteigerten Sorgfaltspflichten des § 3 Abs. 2a StVO nur dann entgegengehalten werden, wenn für ihn konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden, dass mit Kindern an dieser Stelle zu rechnen ist.
Rz. 57
Dies wäre zu bejahen, wenn der Kraftfahrer zuvor schon spielende Kinder gesehen hat. Für eine Verschuldenshaf...