Rz. 120

Bei der Wahl des Berufsziels und der hierfür erforderlichen Ausbildung ist dem Kind eine angemessene Orientierungsphase zuzubilligen, bis es sich für die Aufnahme einer seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Ausbildung entscheidet und sich um eine geeignete Ausbildungsstelle bemüht.[158]

Während dieser Orientierungsphase gesteht die Rechtsprechung dem Kind Fehlentscheidungen hinsichtlich Ausbildungsziel und/oder Ausbildungsort zu, ohne hieraus unterhaltsrechtliche Konsequenzen, wie die Versagung von Unterhalt, zu ziehen. Sinn und Zweck dieser Zeit ist gerade, einem in der Frage der Berufswahl unsicheren jungen Menschen die Entscheidungsfindung zu ermöglichen.[159] Üblicherweise werden während dieser Zeit Praktika bei verschiedenen Unternehmen in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen abgeleistet. Sofern mit der Ableistung eines berufsbezogenen Praktikums die reguläre Wochenarbeitszeit nicht erreicht wird, besteht für das Kind nur ein Anspruch auf Teilunterhalt.[160]

 

Rz. 121

 

Praxistipp

Die Dauer dieser Orientierungsphase ist nicht festgeschrieben und bemisst sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, wobei die konkreten Aktivitäten des Kindes während dieser Zeit in Betracht zu ziehen sind. Auch das Ableisten eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres kann als Orientierungsphase angesehen werden.[161]

 

Rz. 122

Sofern das Kind nach Abschluss der Schulausbildung ein Berufsgrundbildungsjahr absolviert, ist dies Teil einer angemessenen Berufsausbildung, da damit die Lehrzeit verkürzt und die Chance auf einen Ausbildungsplatz erhöht wird.[162]

 

Rz. 123

Kommt das Kind während der Orientierungsphase seinen Pflichten nicht nach, kann es den Unterhaltsanspruch bis zur Aufnahme einer ordnungsgemäßen Ausbildung dem Grunde nach verlieren. Jedenfalls verstößt es gegen seine Erwerbsobliegenheit mit der Folge, dass ihm eigene – fiktive – Einkünfte angerechnet werden.

[158] BGH FamRZ 2006, 1100; OLG Köln OLGR 2005, 40; OLG Naumburg FamRZ 2008, 86.
[159] BGH FamRZ 1987, 470; FamRZ 1993, 1057.
[160] OLG Frankfurt/Main NJW 1990, 1798.
[162] OLG Braunschweig FamRZ 2011, 119.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge