Rz. 616
Der Unterhaltsanspruch des minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Kindes kann erlöschen, unter sehr engen Voraussetzungen aber auch verwirkt werden und/oder verjähren.
a) Erlöschen des Unterhaltsanspruchs durch Tod des Berechtigten oder Verpflichteten
Rz. 617
Nach § 1615 Abs. 1 erlischt der Anspruch mit dem Tod des Berechtigten oder Verpflichteten. Stirbt der Unterhaltsverpflichtete sind bestehende Unterhaltsrückstände Nachlassverbindlichkeiten.
Allerdings haftet der Unterhaltsverpflichtete im Falle des Versterbens des Berechtigten für den vollen Monat, in dem der Berechtige verstirbt (§ 1612 Abs. 3 Satz 2), sowie für rückständigen Unterhalt weiter.
b) Verwirkung
Rz. 618
Die Verwirkung im Unterhaltsrechtsverhältnis ist in § 1611 geregelt. Außerdem kann sich die Verwirkung aus § 242 ergeben.
aa) Verwirkung nach § 1611
Rz. 619
Der Verwirkungstatbestand des § 1611 erstreckt sich nicht auf minderjährige unverheiratete Kinder (§ 1611 Abs. 2), privilegiert volljährige Kinder können hingegen den Tatbestand des § 1611 sehr wohl erfüllen.
Rz. 620
Praxistipp
Dem (privilegiert) volljährigen Kind kann ein Fehlverhalten aus der Zeit vor Vollendung des 18. Lebensjahrs nicht i.S.d. Tatbestands des § 1611 entgegengehalten werden. Ein während der Minderjährigkeit des Unterhaltsberechtigten eintretendes Ereignis führt nicht zur Verwirkung des weiteren Unterhalts ab Eintritt der Volljährigkeit.
bb) Die Verwirkung nach § 242
Rz. 621
Die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs des minderjährigen Kindes kann sich jedoch aus § 242 ergeben, sofern Zeit- und Umstandsmoment erfüllt sind. Wenn der Unterhaltsschuldner sich nach einer gewissen Zeit aufgrund besonderer hinzutretender Umstände davon ausgehen durfte/musste, dass der Unterhaltsgläubiger ihn nicht mehr auf Zahlung in Anspruch nehmen werde, kann er dem Unterhaltsanspruch die von Amts wegen zu beachtende Einwendung der Verwirkung entgegenhalten.
Rz. 622
Ausgangspunkt ist der (Unterhalts-)Schuldnerschutz, dem bei Unterhaltsrückständen von mehr als einem Jahr besondere Bedeutung zukommt. Daneben ist davon auszugehen, dass der Unterhaltsgläubiger auf die Unterhaltsleistung, die schließlich seinen Lebensbedarf decken soll, aufgrund bestehender Bedürftigkeit dermaßen angewiesen ist, dass er die Durchsetzung seiner Unterhaltsansprüche ohne großes Zuwarten betreibt. Die Frage der Verjährung, insbesondere dass diese während der Minderjährigkeit des Unterhaltsgläubigers nach § 207 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a gehemmt ist, spielt im Rahmen der Verwirkung keine Rolle.
Rz. 623
Praxistipp
Die Verwirkung beseitigt die anspruchsbegründende Wirkung einer Inverzugsetzung oder Rechtshängigkeit und kann darüber hinaus auch bereits titulierte Ansprüche erfassen, die auf einen öffentlich-rechtlichen Träger übergegangen sind.
Rz. 624
Ob die Titulierung des Unterhaltsanspruchs, aber Unterlassen der Zwangsvollstreckung durch den Gläubiger zu einer größeren Schutzwürdigkeit des Schuldners oder dieses Vorgehen des Gläubigers dem Schuldner verdeutlicht, dass die Ansprüche verfolgt werden, ist am konkreten Einzelfall zu entscheiden.
(1) Das Zeitmoment
Rz. 625
Es können nur fällige Unterhaltsansprüche verwirkt werden. Diese müssen ein Jahr und länger zurückliegen.
Rz. 626
Praxistipp
Werden Unterhaltsansprüche, deren Fälligkeit ein Jahr und mehr zurück liegt, vom Gläubiger nicht zeitnah geltend gemacht, ist jedenfalls die Möglichkeit der Verwirkung zu prüfen.
Rz. 627
Grundsätzlich können auch bereits titulierte Unterhaltsansprüche – unabhängig von der Verjährung – verwirken. Das diesbezügliche Zeitmoment umfasst in der Rechtsprechung jedoch die weite Spanne von einem über vier bis zu sieben Jahren. Unter Umständen ist das Zeitmoment bereits nach einem Jahr erfüllt.
Rz. 628
Praxistipp
Besteht hinsichtlich der Unterhaltsansprüche Beistandschaft des Jugendamts, muss sich das unterhaltsberechtige Kind dessen Verhalten in der Unterhaltsauseinandersetzung zurechnen lassen.
(2) Das Umstandsmoment
Rz. 629
Bei der Prüfung des Umstandsmoments ist darauf abzustellen, ob sich der Unterhaltsschuldner darauf verlassen und mithin seine Ausgaben- und Lebensplanung darauf einrichten durfte, dass er vom Unterhaltsschuldner nicht mehr auf Zahlung in Anspruch genommen werde.
Rz. 630
Die Abwägung muss vor dem Hintergrund erfolgen, dass die Unterhaltszahlung den Lebensbedarf des Unterhaltsgläubigers decken soll, der Unterhaltsschuldner also bedürft...