Rz. 409
Grundsätzlich leitet das minderjährige Kind seine Lebensstellung von den Eltern ab. Daher entfalten die familiären Lebensverhältnisse Wirkung auf die Lebensstellung des minderjährigen Kindes dergestalt, dass Kreditverbindlichkeiten, die während des Zusammenlebens der Eltern entstanden sind und den Grund für ihre Entstehung in der gemeinsamen Lebensführung der Familie haben, die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners schmälern.
Rz. 410
Praxistipp
Der Unterhaltsschuldner, der sich wegen bestehender Kreditverpflichtungen auf fehlende oder reduzierte Leistungsfähigkeit beruft, muss Zeitpunkt, Grund und Höhe der Kreditaufnahme darlegen, um dem Gericht die Abwägung, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe diese Verbindlichkeiten sein Einkommen mindern, zu ermöglichen. Angaben, die im Rahmen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht werden, müssen zu diesem Zweck in das Hauptverfahren eingeführt worden sein.
Rz. 411
Kreditverbindlichkeiten, die der Unterhaltsschuldner erst nach Trennung der Eltern und in Kenntnis der Unterhaltsverpflichtung eingeht, mindern nur dann ausnahmsweise seine Leistungsfähigkeit, wenn sie unvermeidbar waren. Die Kreditaufnahme ist nur dann unvermeidbar, wenn sie sich als notwendig und unausweichlich für den Unterhaltsschuldner darstellt.
Rz. 412
Praxistipp
Grundsätzlich verwehrt die Kenntnis der Unterhaltsverpflichtung bei Abschluss eines Kreditvertrages es dem Unterhaltsschuldner, sich im Hinblick auf die Kreditraten auf verminderte Leistungsfähigkeit zu berufen.
Rz. 413
Es muss eine umfassende Interessenabwägung im jeweiligen Einzelfall vorgenommen werden, bei der jedoch vor allem bei der Finanzierung von Lebenshaltungskosten ein strenger Maßstab anzulegen ist. Regelmäßige Beträge, die der Unterhaltsschuldner auch nur mittelbar zur Vermögensbildung verwendet, können seine Leistungsfähigkeit nicht mindern.
Rz. 414
Grundsätzlich ist die Beurteilung der Frage, ob Kreditverbindlichkeit zum Wegfall oder zumindest zur Verminderung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners führen, am Kindeswohl zu messen. Minderjährige Kinder können nichts zur Sicherung ihrer eigenen Existenz unternehmen. Sie haben keine Möglichkeit zur Deckung ihres notwendigen Lebensbedarfs beizutragen. Daher sind sie als besonders schutzwürdig anzusehen. Dies gilt für privilegierte volljährige Kinder nur noch bedingt, für erwachsene Unterhaltsgläubiger nur noch erheblich eingeschränkt.
Sofern das Existenzminimum des minderjährigen Kindes nicht gesichert ist, scheidet eine Auswirkung von Kreditverbindlichkeiten, nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls, wohl aus. Nur dieses Ergebnis nimmt den Schutz minderjähriger Kinder und den Grundgedanken der verschärften Leistungspflicht des Unterhaltsschuldners gegenüber dem minderjährigen Kind ernst.
Rz. 415
Gegenüber dem privilegierten volljährigen Kind verschiebt sich der Maßstab der Abwägung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls bereits zugunsten der – zumindest teilweisen – Berücksichtigung der Kreditverbindlichkeiten bei der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners.
Rz. 416
Praxistipp
In jedem Fall trifft den Unterhaltsschuldner gegenüber dem minderjährigen Kind und/oder dem volljährigen privilegierten Kind die Obliegenheit, seine Leistungsfähigkeit durch Reduzierung der monatlichen Kreditrate oder Durchführung einer Umschuldung zu erhöhen.
Rz. 417
Folgende Kriterien müssen im Rahmen der Abwägung herangezogen und können als Argumentationshilfe verwendet werden:
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Anlass, Zeitpunkt und Art der Kreditaufnahme, |
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Kenntnis des Unterhaltsschuldners von der Unterhaltspflicht, |
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Kenntnis und Billigung des Unterhaltsgläubigers bei Kreditaufnahme, |
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Vermeidung weiterer Verschuldung des Unterhaltsschuldners, |
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Vorübergehende besondere Notwendigkeit der Unterhaltszahlung, |
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Möglichkeit der Zahlungsstreckung durch angemessenen Tilgungsplan, |
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Zu erwartende Einkommenssteigerung beim Unterhaltsgläubiger, |
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Schutzwürdige Belange von Drittgläubigern. |
Rz. 418
Im Ergebnis sind nur die Zahlungen auf Kreditverbindlichkeit zur Minderung der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen, die bei verantwortlicher Abwägung der Belange des minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Kindes und Fremdgläubigerinteressen für die Schuldentilgung verfügbar sind, wenn und soweit die zeitliche Streckung des Kredits über Jahre hinaus dem Unterhaltsschuldner zumutbar ist.