Rz. 813
Ein Anspruch auf Finanzierung einer zweiten (weiteren) Ausbildung (sog. Zweitausbildung) setzt zunächst den erfolgreichen Abschluss einer sog. Erstausbildung voraus. Die beiden Begriffe werden vielfach verwechselt: Muss die erste Ausbildung – etwa aus gesundheitlichen Gründen – abgebrochen werden, ist die folgende (zweite) Ausbildung keine Zweitausbildung i.S.d. § 1610 Abs. 2, sondern noch eine (rechtliche) Erstausbildung, weil die erste Ausbildung nicht erfolgreich abgeschlossen worden ist.
Rz. 814
Hat das Kind erfolgreich eine erste Berufsausbildung abgeschlossen, besteht in der Regel keine Verpflichtung der Eltern, eine weitere Ausbildung (Zweitausbildung) zu finanzieren. Eine Zweitausbildung wird daher nur in seltenen Ausnahmefällen geschuldet. Insbesondere bedürfen die hinsichtlich der Angemessenheit einer weiteren Ausbildung zu stellenden Anforderungen mit zunehmendem Alter des Kindes der besonders sorgfältigen Prüfung. Innerhalb zweier Fallgruppen ist ferner danach zu differenzieren, ob die Eltern ihre Leistungsschuld bereits im Rahmen der Finanzierung der Erstausbildung erfüllt haben oder nicht.
(1) Anspruch auf Erstausbildung ist erfüllt
Rz. 815
Haben Eltern ihrem Kind eine optimale, begabungs- und neigungsbezogene – auch mehrstufige – Ausbildung gewährt, und hat das Kind eine Ausbildung abgeschlossen, dann sind sie ohne Rücksicht auf die Kosten, die sie dafür aufwenden mussten, ihrer Unterhaltspflicht aus § 1610 Abs. 2 in rechter Weise nachgekommen und grundsätzlich nicht verpflichtet, noch eine weitere, zusätzliche Ausbildung zu finanzieren, der sich das Kind nach Beendigung der ersten Ausbildung unterziehen will. Das Kind ist dann nicht mehr außerstande, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1). Dies gilt bei mangelnder Neigung und Eignung ebenso wie bei fehlenden angemessenen Verdienstmöglichkeiten in dem erlernten Beruf.
Rz. 816
Ausnahmsweise kann jedoch eine weitere Ausbildung (als Zweitausbildung) zu finanzieren sein, etwa wenn sie einvernehmlich von vornherein geplant und angestrebt war, insb. wenn sie zweifelsfrei als eine in engem sachlichem und zeitlichem Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg anzusehen ist, ohne dass die Voraussetzungen einer mehrstufigen Gesamtausbildung vorliegen, oder wenn sie sich als notwendig erweist, etwa weil der zunächst erlernte Beruf
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aus gesundheitlichen (etwa unfallbedingte Behinderungen) oder sonstigen, bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen (Berufswechsel aus Gewissensgründen) nicht ausgeübt werden kann, oder |
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aus Gründen, die bei Beginn der Ausbildung nicht voraussehbar waren, keine ausreichende Lebensgrundlage bildet. |
Rz. 817
In diesen Fällen sind bezüglich der Leistungsfähigkeit der Eltern strenge Anforderungen zu stellen: Wenn nicht vorrangig eine staatlich finanzierte Umschulung in einen wirtschaftlich gleichwertigen Beruf in Anspruch genommen werden kann, müssen jedenfalls die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern überdurchschnittlich gut sein. Letztlich ist über die Zumutbarkeit unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen konkreten Einzelfalles zu entscheiden.
(2) Anspruch auf Erstausbildung ist nicht erfüllt
Rz. 818
Haben Eltern ihrem Kind eine zwar abgeschlossene, jedoch weder optimale noch begabungs- und/oder neigungsbezogene – auch mehrstufige – Ausbildung gewährt, dann schulden sie regelmäßig (noch) eine weitere Ausbildung als Erstausbildung. Hier kommen insb. folgende Fallgestaltungen in Betracht:
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die erste Ausbildung beruhte auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung bzw. Neigungen des Kindes durch seine Eltern; sein Begabungspotential wurde also nicht hinreichend ausgeschöpft, |
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die Eltern haben dem Kind eine angemessene Ausbildung versagt und es in eine Ausbildung gedrängt, die seinen Begabungen und Neigungen nicht hinreichend Rechnung trägt, und Anhaltspunkte für eine wesentlich höhere Ausbildungsfähigkeit bestanden/bestehen, wenn das Kind sodann die erste Ausbildung nur auf Wunsch der Eltern beendet hat, |
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die Eltern haben darauf bestanden, dass die begonnene Ausbildung abgeschlossen wird, obwohl die falsche Berufswahl alsbald erkannt worden ist, |
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gestörte häusliche Verhältnisse (Scheidungskinder) haben sich nachteilig auf die schulische Entwicklung des Kindes ausgewirkt. |
Rz. 819
Der BGH hat derjenigen Fallgruppe, in denen Eltern ihrem K...