Rz. 1136

Nach § 125 Abs. 1 InsO[2765] können der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat einen Interessenausgleich vereinbaren, der die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet.[2766] Dies gilt auch für Änderungskündigungen. Die Gestaltungsmöglichkeiten bei einem Interessenausgleich mit Namensliste führen zu einer erheblichen Einschränkung des individuellen Kündigungsschutzes des Arbeitnehmers.[2767] Zum einen wird vermutet, dass die Kündigung der in der Liste genannten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.[2768] Zum anderen wird die Sozialauswahl nur hinsichtlich der Betriebszugehörigkeit, des Alters und der Unterhaltspflichten gerichtlich auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft.[2769] Die Namensliste muss Bestandteil des Interessenausgleiches sein. Bei getrennten Dokumenten muss die Namensliste mit dem Interessenausgleich vor Unterzeichnung z.B. durch Heftung zu einer einheitlichen Urkunde fest verbunden sein.[2770] Der Abschluss des Interessenausgleichs mit Namensliste kann mit dem Anhörungsverfahren gemäß § 102 BetrVG verbunden werden. Die Anforderungen an die Anhörung sind dabei nicht herabgesetzt.[2771]

 

Rz. 1137

Kommt ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande, ersetzt dieser nach § 125 Abs. 2 InsO zugleich die Stellungnahme des Betriebsrats im Rahmen der Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG.[2772] Die Konsultationspflicht des Betriebsrates nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG bleibt bestehen, es sei denn, der Arbeitgeber erfüllt gleichzeitig seine Pflichten gegenüber dem Betriebsrat aus den Vorschriften §§ 102, 111 BetrVG sowie § 17 Abs. 2 KSchG, soweit sie übereinstimmen. Möchte er dies, muss hinreichend klargestellt sein, dass und welche Verfahren gleichzeitig durchgeführt werden sollen.[2773]

 

Hinweis

Aus Beschleunigungsgründen werden der Interessenausgleich mit Namensliste und die Anhörungen nach § 102 BetrVG häufig miteinander verbunden.

[2765] Die Regelung des § 125 InsO soll die Sanierung insolventer Unternehmen erleichtern, Rationalisierungsmaßnahmen zügig ermöglichen und Massenentlassungen beschleunigen (BAG 7.7.2011 – 6 AZR 248/10, NZA 2011, 1108).
[2766] Bei grenzüberschreitenden Insolvenzen im Geltungsbereich der EuInsVO ist auch ein Administrator, der in der vom englischen Insolvenzrecht vorgesehenen Weise für den Gemeinschuldner handelt, befugt, einen Interessenausgleich nach § 125 InsO abzuschließen. Nur mit dieser Auslegung lassen sich effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren sicherstellen, vgl. BAG 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, NZI 2012, 1011.
[2767] Da eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG Voraussetzung für die Anwendung von § 125 InsO ist, greift die Vorschrift nicht bei Kleinbetrieben. Der Insolvenzverwalter kann aber das Verfahren nach § 126 InsO einleiten. Die Schwelle der Sozialplanpflichtigkeit des § 112a BetrVG muss hingegen nicht überschritten sein.
[2768] Der Insolvenzverwalter muss in einem Kündigungsrechtsstreit nur das wirksame Zustandekommen des Interessenausgleichs und die Nennung des Klägers in der Namensliste darlegen. Vgl. BAG 7.5.1998 – 2 AZR 536/97, DB 1998, 1768 = ZIP 1998, 1809; BAG 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, NZA 2013, 559. Der Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG wird von der Vermutungswirkung des § 125 InsO nicht berührt. Vgl. BAG 17.11.2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370.
[2769] Die Sozialauswahl ist grob fehlerhaft, wenn ein evidenter Fehler vorliegt und der Interessenausgleich, insbesondere bei der Gewichtung der Auswahlkriterien, jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Vgl. BAG 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432; BAG 3.4.2008 – 2 AZR 879/06, NZA 2008, 1060. Ferner ist bei einem Interessenausgleich mit Namensliste in der Insolvenz ausreichend, wenn sich die Betriebsparteien bei der Sozialauswahl auf die aus der Lohnsteuerkarte ersichtlichen Unterhaltsverpflichtungen beschränken, BAG 28.6.2012 – 6 AZR 682/10, NZA 2012, 1090.
[2770] BAG 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151; BAG 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, EzA Nr. 6 zu § 1 KSchG Interessenausgleich = NZA 1998, 1110. Es ist unschädlich, wenn zunächst der Interessenausgleich abgeschlossen und danach zeitnah die Namensliste ergänzt wird (BAG 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 86).
[2772] Bei einer betriebsübergreifenden Betriebsänderung ersetzt der zwischen Insolvenzverwalter und Gesamtbetriebsrat abgeschlossene Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahmen der örtlichen Betriebsräte nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG, BAG 7.7.2011 – 6 AZR 248/10, NZA 2011, 1108.

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