Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 944
Gelingt es dem Arbeitgeber, sich mit dem Betriebsrat im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen auf eine Namensliste zu einigen, in der die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet sind, hat dies für ihn den großen Vorteil, dass gem. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG vermutet wird, dass die aufgrund der Namensliste ausgesprochenen Kündigungen durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sind. Voraussetzung ist allerdings, dass die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung vollumfänglich im Interessenausgleich niedergelegt ist; ein Interessenausgleich nur über Teile der Betriebsänderung reicht nicht aus, um die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zu begründen. Ist dies der Fall und die geplante Betriebsänderung vollständig im Interessenausgleich erfasst, greift die Vermutungswirkung allerdings auch bei "Teil-Namenslisten", wenn Arbeitgeber und Betriebsrat die zu kündigenden Arbeitnehmer entsprechend den geplanten "Entlassungswellen" jeweils pro "Welle" vollständig auf die Liste setzen. Bei Änderungskündigungen führt die Namensliste dazu, dass sich die Vermutungswirkung auch darauf erstreckt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch betriebliche Erfordernisse veranlasst war. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann außerdem nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG). Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit nach § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG erstreckt sich dabei nicht nur auf die sozialen Kriterien und deren Gewichtung zueinander. Vielmehr wird auch die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen nur nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab beurteilt. Durch einen Interessenausgleich mit Namensliste können Arbeitgeber und Betriebsrat auch eine Auswahlrichtlinie i.S.v. § 1 Abs. 4 KSchG später oder zeitgleich ändern. Setzen sich die Betriebsparteien in einem bestimmten Punkt gemeinsam über die Auswahlrichtlinie hinweg, gilt die Namensliste.
Rz. 945
Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit nach § 1 Abs. 5 KSchG gilt jedoch nur dann, wenn der Arbeitgeber eine ordentliche betriebsbedingte (Änderungs-) Kündigung ausspricht. Auf außerordentliche betriebsbedingte Kündigungen mit sozialer Auslauffrist findet § 1 Abs. 5 KSchG von vorne herein keine Anwendung. Auch wenn ein Interessenausgleich mit Namensliste vereinbart ist, muss der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 3 S. 3 Hs. 2 KSchG dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen im Prozess die Gründe mitteilen, die zu der getroffenen Sozialauswahl geführt haben. Erst nach Erfüllung der Auskunftspflicht trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast für die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Insofern müssen die Betriebsparteien auch bei einem Interessenausgleich mit Namensliste eine "echte" Sozialauswahl durchführen und sicherstellen, dass diese keine groben Fehler aufweist. Werden z.B. Altersgruppen nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG gebildet, muss wie üblich außerhalb insolventer Betriebe sichergestellt werden, dass die prozentuale Verteilung der Belegschaft auf die Altersgruppen festgestellt und die Gesamtzahl der auszusprechenden Kündigungen diesem Proporz entsprechend auf die einzelnen Altersgruppen verteilt wird. Die Namensliste schafft hier also keine Erleichterung. Werden diese Voraussetzungen nicht eingehalten, wird die Sozialauswahl ohne Rücksicht auf die gebildeten Altersgruppen geprüft und erweist sich dann – weil auch ältere Arbeitnehmer mit höherer Schutzwürdigkeit als Jüngere gekündigt wurden – hinsichtlich der älteren Arbeitnehmer normalerweise als grob fehlerhaft.
Rz. 946
Praxishinweis
Vor diesem Hintergrund kann es sinnvoll sein, nicht nur die Namensliste in den Interessenausgleich aufzunehmen, sondern zusätzlich festzuhalten, welche Kriterien und Umstände zur Auswahl der namentlich genannten Mitarbeiter geführt haben.
Rz. 947
Damit das Schriftformerfordernis des Interessenausgleichs nach § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG gewahrt ist, muss die Namensliste nicht unbedingt im Interessenausgleich selbst aufgeführt sein. Sie kann auch (wie meist) in einer Anlage zum Interessenausgleich enthalten sein. Voraussetzung ist dann grundsätzlich, dass der Interessenausgleich von den Betriebsparteien unterzeichnet ist, in ihm ausdrücklich auf die Anlage Bezug genommen wird und die Haupturkunde mit der Anlage mittels Heftmaschine körperlich derart zu einer einheitlichen Urkunde verbunden ist, dass eine Lösung nur durch Gewaltanwendung (Lösen der Heftklammer) möglich ist. Allerdings ist das Schriftformerfordernis nach Auffassung des BAG auch dann erfüllt, wenn die Namensliste zeitnah nach Abschluss des Interessenausgleichs erstellt, eigenhändig von den Betriebsparteien unterzeichnet und in ihr auf den abgeschlossenen Interessenausgleich verwiesen wird. Eine "zeitnahe Ergänzung" hat das BAG z.B. dann angenommen, wenn das Verständnis über die Namensliste etwa sechs Wochen nach Unterzeichnung des Interessenausgleichs erfolgte. Sicherheitshalber sol...