Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 489
Aus dem Gesetz lassen sich keine Anhaltspunkte herleiten, wie das BEM auszusehen hat, es schreibt lediglich gewisse Mindeststandards vor, die einzuhalten sind. Das BAG hat in mehreren Entscheidungen seine bisherige Rechtsprechung zum BEM fortgeführt und überzeugende Grundsätze zur Durchführung bzw. Nichtdurchführung eines BEM aufgestellt und auf die entsprechenden Rechtsfolgen hingewiesen. Entscheidend dabei ist, dass es sich von sämtlichen in den Instanzgerichten teilweise alle Beteiligten überfordernden Anforderungen abgewendet hat und Orientierungspunkte für die betriebliche Praxis aufgestellt hat und damit den notwendigen Spielraum einräumt, den ein derartiges Verfahren zur gerechten Beurteilung jedes Einzelfalles benötigt. Das BAG führt dazu in ständiger Rechtsprechung aus, dass es sich beim BEM "um einen rechtlich regulierten verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess handelt, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll".
Rz. 490
Dem Arbeitgeber wird für das BEM ein weitreichender Handlungsspielraum zur Verfügung gestellt. Hervorzuheben ist jedoch, dass ein nicht entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen durchgeführtes Eingliederungsmanagement Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung haben kann. Die Rechtsprechung des BAG zu § 167 Abs. 2 SGB IX macht zunehmend die krankheitsbedingte Kündigung insbesondere bei häufigen Kurzerkrankungen dann unmöglich, wenn nicht alle formalen und inhaltlichen Voraussetzungen des § 167 Abs. 2 SGB IX erfüllt sind. Das LAG Rheinland-Pfalz hat nachvollziehbar dargelegt, dass es keines BEM-Verfahrens bedarf, wenn der Arbeitnehmer ausweislich medizinischer Gutachten nicht mehr in der Lage ist, am Arbeitsleben teilzunehmen und bei objektiver Betrachtung kein Anhaltspunkt zur Fortsetzung seiner Tätigkeit besteht. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BAGs zu dieser Frage kann von einem derartigen Verzicht nur abgeraten werden.
Das gesamte Kündigungsrecht ist geprägt vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Eine Kündigung ist unverhältnismäßig und damit unwirksam, wenn sie durch mildere Mittel vermieden werden kann, d.h. wenn die Kündigung nicht zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen bzw. der eingetretenen Vertragsstörung geeignet oder nicht erforderlich ist. Dieser Grundsatz wird in § 167 Abs. 2 SGB IX konkretisiert. Zwar ist das BEM als solches kein milderes Mittel, aber durch das BEM können mildere Mittel wie z.B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung auf einem – notfalls freizumachenden – anderen Arbeitsplatz entdeckt und realisiert werden.
Rz. 491
Das BEM ist ein individuelles Verfahren, welches kein formalisiertes betriebliches Ablaufschema erfordert. Völlig ausreichend ist, dass der Arbeitgeber die in § 167 Abs. 2 SGB IX inhaltlich vorgesehenen Schritte und Maßnahmen prüft und durchführt. Auch hierbei gilt der Grundsatz, dass eine formelle Bezeichnung nicht erforderlich ist. Entscheidend ist vielmehr, dass der Arbeitgeber die Prüfung durchführt und mit diesem Verfahren einen unverstellten, verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess etabliert. Allerdings werden nach § 167 Abs. 4 SGB IX die Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen soweit Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen. Das LAG Hessen sieht für den Fall, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten bereits in der Einladung zum BEM-Verfahren auf diese Hilfen nicht spezifisch hinweist, einen Formfehler, der das gesamte BEM-Verfahren unwirksam werden lässt.
Rz. 492
Dem Arbeitgeber kann dabei nicht empfohlen werden, ein festes Gremium für die Durchführung des BEM einzurichten, da es dem Arbeitnehmer im Rahmen der Durchführung eines BEM freisteht, der Hinzuziehung von Personen zu widersprechen, so dass eine Mitarbeit dieser Personen in einem festen Gremium ausscheidet. Sofern sich der Arbeitgeber dennoch für die Installation eines derartigen festen Gremium entscheidet, in dem zum Beispiel Vertreter des Arbeitgebers und des Betriebsrates sowie der Schwerbehindertenvertretung und des betriebsärztlichen Dienstes mitarbeiten können, sollte dieses Gremium lediglich eine beratende Funktion erhalten. Letztlich sollte der Arbeitgeber auf jeden Fall das Letztentscheidungsrecht für sich beanspruchen.