Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 1107
Im Insolvenzverfahren besteht, u.a. aus dem Grund, das Unternehmen oder auch nur einen Teil davon sanieren zu wollen, bei der Sozialauswahl ein modifiziertes und damit vereinfachtes Kündigungsverfahren. Ansonsten gelten dieselben Voraussetzungen wie bei Kündigungen ohne Insolvenz, da die Insolvenz des Arbeitgebers grundsätzlich keinen Einfluss auf die Arbeitsverhältnisse hat.
Rz. 1108
Die dringenden betrieblichen Erfordernisse für eine betriebsbedingte Kündigung i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG können sich auch im Insolvenzverfahren aus innerbetrieblichen Umständen, wie einer Betriebsstilllegung, und/oder außerbetrieblichen Umständen, wie Auftragsmangel, ergeben. Die unternehmerische Entscheidung zur Umsetzung organisatorischer Maßnahmen, die zum Wegfall der Beschäftigung von Arbeitnehmern führen, ist in einem auch für das Arbeitsgericht nachvollziehbaren Konzept darzustellen. Dies gilt insbesondere bei der Entscheidung über die Betriebsstilllegung. Eine Zweckmäßigkeitsprüfung erfolgt dabei nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist daher als Unternehmerentscheidung für die soziale Rechtfertigung von Kündigungen geeignet, dass der Arbeitgeber ab sofort keine neuen Aufträge mehr annimmt, allen Arbeitnehmern zum nächstmöglichen Termin kündigt, zur Abarbeitung der vorhandenen Aufträge eigene Arbeitnehmer nur noch während der geltenden Kündigungsfristen einsetzt und den Betrieb schnellstmöglich stilllegt. Auch wird nicht beanstandet, wenn die Arbeitnehmer nicht alle zum gleichen Kündigungsendtermin, sondern unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Kündigungsfristen ausscheiden.
Rz. 1109
Die Unterrichtungspflicht gegenüber dem Betriebsrat ist bei Wegfall des Erfordernisses der Sozialauswahl wegen Betriebsstilllegung eingeschränkt. So braucht der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht nach § 102 BetrVG über Familienstand und Unterhaltspflichten der zu kündigenden Arbeitnehmer zu unterrichten.
Rz. 1110
Die insolvenzrechtlichen Zustimmungsvoraussetzungen bei der Betriebsstilllegung wie z.B. die Zustimmung der Gläubigerversammlung (§ 157 InsO) oder des Gläubigerausschusses (§ 158 InsO) sind keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die betriebsbedingte Kündigung. Ebenso wenig schlägt ein fehlender Gesellschafterbeschluss vor der Stilllegungsentscheidung auf die Wirksamkeit einer Kündigung durch. Kündigungsrechtlich wird allein darauf abgestellt, dass die Stilllegungsentscheidung getroffen wurde und die darauf basierende Prognose im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung gerechtfertigt war.
Rz. 1111
Die Sozialauswahl ist im Insolvenzverfahren betriebsbezogen und damit abteilungsübergreifend und nicht unternehmens- bzw. konzernbezogen durchzuführen, auch bei einer beabsichtigten Teilbetriebsstilllegung bzw. einem Teilbetriebsübergang. Im Insolvenzverfahren ist auch auf die horizontale Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer abzustellen. Es ist zu prüfen, ob die Arbeitnehmer ohne längere Einarbeitungszeit oder Änderungskündigung austauschbar sind, also per Direktionsrecht des Arbeitgebers auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt werden können.
Rz. 1112
Wird ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen, ist auch im Insolvenzverfahren die Herausnahme sog. Leistungsträger aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu prüfen (§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG, § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO). Der Arbeitgeber hat die Gründe für die fehlende Vergleichbarkeit bzw. die Ausklammerung von Leistungsträgern nur in groben Zügen darzulegen.