Rz. 112

In einem Interessenausgleich können auch außerhalb der Insolvenz, wie auch schon nach der früheren Rechtslage, wirksam Auswahlkriterien für Kündigungen festgelegt werden. § 125 InsO enthält eine noch weiter gehende Regelung für das eröffnete Insolvenzverfahren, die auch für Änderungskündigungen gilt.[91] Ist zwischen dem Insolvenzverwalter und Betriebsrat in einem Interessenausgleich Einigkeit darüber erzielt worden, welche Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der geplanten Betriebsänderung entlassen werden müssen und eine entsprechende Namensliste erstellt worden, und ist darin konkret geregelt, welche Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der geplanten Betriebsänderung entlassen werden müssen, wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.[92]

 

Rz. 113

Ein vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwischen dem Schuldner und dem bei ihm gebildeten Betriebsrat mit Zustimmung des vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalters geschlossener Interessenausgleich mit Namensliste entfaltet nicht die Wirkungen des § 125 InsO. Vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist § 125 InsO weder unmittelbar noch analog anzuwenden.[93]

 

Rz. 114

Wenn zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat in einem Interessenausgleich eine entsprechende Namensliste erstellt worden, ist es auch gerechtfertigt, die soziale Rechtfertigung der Kündigung nur noch in Ausnahmefällen in Frage stellen zu lassen. Entsprechendes soll – über den Wortlaut des § 125 InsO hinaus – auch für die zutreffende Bildung der Vergleichsgruppe[94] und für die Ordnungsgemäßheit der Sozialauswahl gelten.[95]

 

Rz. 115

 

Hinweis

Die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers beschränkt sich auf die "Vermutungsbasis",[96] nämlich auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift des § 125 InsO.

 

Rz. 116

Es kann danach angenommen werde, dass der Betriebsrat seine Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern wahrnimmt, nur unvermeidbaren Entlassungen zustimmt und darauf achtet, dass bei der Auswahl der ausscheidenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt werden. Nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO wird daher vermutet, dass einer Weiterbeschäftigung der namentlich bezeichneten Arbeitnehmer dringende betriebliche Erfordernisse entgegenstehen. Es wird insoweit eine Beweislast­umkehr erreicht, so dass die Arbeitnehmer entgegen § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG beweispflichtig sind, wenn sie diesen Umstand bestreiten wollen.[97] Entsprechendes gilt für die Bildung der Vergleichsgruppe[98] und für die Sozialauswahl.[99]

 

Rz. 117

 

Hinweis

Voraussetzung ist aber eine genaue namentliche Bezeichnung der betroffenen Arbeitnehmer nach Art, Inhalt und Frist der beabsichtigten Kündigung (Voll- oder Änderungskündigung, ggf. Inhalt der Änderungen) im Interessenausgleich.[100]

 

Rz. 118

Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Vielzahl von Entlassungen (Massenentlassung), hat er diese nach Maßgabe des § 17 KSchG der Agentur für Arbeit anzuzeigen und der Anzeige eine Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen. Im Insolvenzfall ersetzt gemäß § 125 Abs. 2 InsO ein zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat zustande gekommener Interessenausgleich die Stellungnahme des Betriebsrats, wenn in dem Interessenausgleich die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind. Maßgebend ist, dass der Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 S. 1 BetrVG für den Abschluss des betriebsübergreifenden Interessenausgleichs zuständig war und in diesem die Arbeitnehmer namentlich bezeichnet waren, denen gekündigt werden sollte. Damit ersetzt der mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommene Interessenausgleich gemäß § 125 Abs. 2 InsO die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG.[101]

 

Rz. 119

Die Verbindung des Interessenausgleichsverfahrens nach § 111 BetrVG, § 125 InsO mit der Erfüllung der Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG ist auch unter Berücksichtigung des Erfordernisses unionsrechtskonformer Auslegung anhand der Vorgaben in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b der sog. Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG zulässig. Wird ein geplanter Personalabbau auf der Grundlage eines unternehmenseinheitlichen Konzepts durchgeführt und sind mehrere Betriebe von der Betriebsänderung betroffen, ist der Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 BetrVG originär zuständig für den Abschluss eines betriebsübergreifenden Interessenausgleichs mit Namensliste i.S.v. § 125 InsO. Der Interessenausgleich mit Namensliste ersetzt in einem solchen Fall die Stellungnahme des Gesamtbetriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG.[102]

[91] Zwanziger, BB 1997, 626; Zwanziger, AuR 1997, 427, 433; Fischermeier, NZA 1997, 1089, 1099 f.; Kübler/Prütting/Moll, InsO, § 125 Rn 29; Grunsky/Moll, Rn 354 f. und Rn 380; AnwK-ArbR/Marquardt, § 125 InsO Rn 2 ff.
[92] Zu den Mindestvoraussetzungen und Rechtswirkungen dieser Namenslisten siehe Kübler/Prütting/Moll, InsO, § 125 Rn 19 ff.; Smid/Weisemann, § 121 Rn 4 ff.

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