Dr. med. Daniela Bellmann, Dr.-Ing. Steffen Brückner
Rz. 90
In früheren anthropometrischen Versuchen zur Gesichtererfassung oder Gesichterdifferenzierung wurden allein die Abstände zwischen morphologischen Strukturen erfasst und zwischen zwei oder mehreren Gesichtern verglichen. Dieses Vorgehen ist im Allgemeinen kritisch zu betrachten. Bzgl. der Beweisbilder sind die Aufnahmekriterien, wie Kameraabstand, Brennweite usw. häufig unbekannt. Gerade diese Aspekte haben bei einem metrischen Verfahren jedoch großen Einfluss auf die Richtigkeit der Messungen. Eine weitere Schwierigkeit stellt die mit bloßem Auge nicht genau rekonstruierbare Stellung des Kopfes im 3-dimensionalen Raum dar. Mit einer gerichtsverwertbaren Genauigkeit behaftete Messungen an Abbildern von Personen sind aus diesen Gründen nur stark eingeschränkt bzw. überhaupt nicht möglich. Von einigen Autoren werden Vergleiche von Streckenverhältnissen (Indices) beschrieben, was die auftretenden Fehler reduzieren kann.
Rz. 91
Bei weitgehend angeglichener Kopfhaltung und nach einer verzerrungsfreien Skalierung sind jedoch prinzipiell
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Proportionsvergleiche und |
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Vergleiche von Linienführungen i.S.v. Merkmalsausprägungen |
möglich.
Hinweis
Bevor beide Verfahren näher erläutert werden, soll an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die beim deskriptiven Vergleich aufgeführten Einflussfaktoren auch bei Proportionsvergleichen und Vergleichen der Linienführungen von Bedeutung sind. Die größte Bedeutung kommt bei Proportionsvergleichen dabei der Perspektive zu. Ein Proportionsvergleich ist nur bei weitgehend vergleichbarer Perspektive möglich, da sich ansonsten große Diskrepanzen ergeben, die als Hinweis auf Nichtidentität fehlgedeutet werden können. Catterick beschreibt allein bei Drehung eines Kopfes aus der frontalen Ansicht bis 20° eine deutliche Senkung der Reproduzierbarkeit im Rahmen seiner anthropometrischen Bestimmung von Streckenverhältnissen. In eigenen Versuchen ergaben sich allein aufgrund differenter Kopfstellungen abweichende Proportionen und Abstände, sodass bei fast 20 % der verglichenen identischen Personen eine Einstufung als "nichtidentisch" möglich gewesen wäre. Die Anfälligkeit der Metrik für äußere Bedingungen zeigt die Grenzen der Methode und die Bedeutung der Kopfhaltung bei einem morphologisch-metrischen Bild-Bild-Vergleich unter forensischen Fragestellungen auf. Ein metrischer Vergleich ist somit in der alleinigen Anwendung nicht geeignet, eine eindeutige Identitätsfeststellung per se herbeizuführen, sondern sollte lediglich begleitend zum deskriptiven Vergleich oder i.S.e. Rasters eingesetzt werden.
Auch in der Literatur wird auf dieses Problem i.R.d. Entwicklung einer kommerziellen Software zur automatischen Personenidentifizierung eingegangen. Nach Behrens scheinen Änderungen im Erscheinungsbild durch Kopfhaltung, Beleuchtung, Mimik usw. mehr Variationen in einem einzelnen Gesicht hervorzurufen, als Unterschiede zwischen Bildern verschiedener Gesichter mit dem gleichen Erscheinungsbild existieren. Deshalb wird vom Autor von einer automatischen Gesichtererkennung ohne manuelle Kontrolle durch eine Person im Außenbereich wegen der unzureichenden Robustheit des Verfahrens ggü. Schwankungen abgeraten. Selbst eine automatische Gesichtererkennung im Identifikationsmodus (ein aktuell erfasster biometrischer Datensatz wird mit einer bestimmten Anzahl von Referenzdatensätzen verglichen und eine Identität gilt als gefunden, wenn die Ähnlichkeit innerhalb vorgegebener Schranken liegt) scheint ohne weitere Kontrollen derzeit nur bei einer geschlossenen Benutzergruppe sinnvoll.
Rz. 92
Auch Softwarelösungen im Polizeialltag, die mithilfe eines biometrischen Algorithmus Bilder rechnergestützt miteinander vergleichen, können lediglich "Prüffälle" anbieten.