Rz. 286
Die Pflicht, den Mandanten in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, wie er seine Interessen in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zur Geltung bringen will, findet eine besondere Ausprägung, wenn der Rechtsanwalt in Vergleichsverhandlungen eingeschaltet ist. Wegen der Eigenschaft eines Vergleichs als materiell-rechtlicher Vertrag sind insb. auch die Pflichten des Rechtsanwalts bei der Gestaltung von Verträgen zu beachten (vgl. Rdn 323–346). Im Rahmen von Verhandlungen zum Abschluss eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Interessen des Mandanten umfassend und nach allen Richtungen wahrzunehmen und ihn vor vermeidbaren Nachteilen zu bewahren.
(1) Entscheidung des Auftraggebers
Rz. 287
Die Entscheidung, ob ein Rechtsstreit durch Vergleich abgeschlossen oder fortgeführt wird, hat der Auftraggeber zu treffen. Daher ist der Rechtsanwalt grds. gehalten, sich der Zustimmung der Partei zu versichern, nachdem er diese ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Wenn der Rechtsanwalt eine Zustimmung des Auftraggebers nicht einholen kann, sollte er einen Vergleich nur unter Widerrufsvorbehalt schließen (vgl. Rdn 298–302). Gem. §§ 675 Abs. 1, 665 BGB ist ein Rechtsanwalt ausnahmsweise berechtigt, von einer Weisung des Auftraggebers abzuweichen, wenn er nach den Umständen annehmen darf, dass der Auftraggeber bei Kenntnis der Sachlage die Abweichung billigen würde. Allerdings hat der Rechtsanwalt seine entsprechende Absicht dem Auftraggeber vorher mitzuteilen, soweit nicht bei einem weiteren Abwarten dem Auftraggeber ein erheblicher Schaden droht.
Rz. 288
Der BGH hat offengelassen, ob anderweitige Interessen von überragender Bedeutung es rechtfertigen können, einen Vergleich auch ohne Belehrung und ohne Absprache mit dem Auftraggeber zu schließen. Dann hätte der Rechtsanwalt aber in jedem Fall die Vorteile eines Vergleichs gegen die Nachteile, die aus einem Abschluss eines möglicherweise der Partei abträglichen und ihrem Willen widersprechenden Vergleichs erwachsen können, abzuwägen. Dies ist immer dann zu verlangen, wenn der Vergleich wesentliche Punkte enthält, die der Rechtsanwalt bis dahin nicht mit dem Auftraggeber besprochen hat und die diesem Nachteile bringen können.
Hat der Rechtsanwalt die Weisung seines Mandanten, einen Vergleich abzuschließen, hat er sich hieran zu halten, auch wenn der gegnerische Anwalt behauptet, der Mandant habe ihn gebeten, den Vergleichsabschluss zu verschieben. Der Mandant hätte seinen eigenen Anwalt oder das Gericht unterrichten müssen.
(2) Aufklärung des Auftraggebers
Rz. 289
Der Rechtsanwalt muss den Mandanten auf Vor- und Nachteile des beabsichtigten Vergleichs hinweisen. Eine Aufklärung ist insb. dann erforderlich, wenn der Rechtsanwalt sich nicht sicher sein kann, dass der Auftraggeber Inhalt und Tragweite des Vergleichs vollständig erfasst, sondern vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass der Mandant erwartet, durch einen Vergleich eine bestimmte Rechtsposition gewahrt zu wissen. Dann muss der Rechtsanwalt den Mandanten aufklären, wenn er beabsichtigt, den Vergleich mit einem abweichenden Inhalt abzuschließen. Der Rechtsanwalt muss im Einzelnen darlegen, welche Gesichtspunkte für und gegen den Abschluss des Vergleichs sprechen. Er muss alle Bedenken, Unsicherheitsfaktoren und die seinem Mandanten durch den vorhergesehenen Vergleich entstehenden Folgen erörtern. Die Beratung muss hinreichend deutlich erfolgen, damit der Mandant sich entscheiden und ggf. die erforderliche Form einhalten kann. Ergibt sich aus der Beratung für den Mandanten ein Zielkonflikt, obwohl ein solcher in Wirklichkeit nicht besteht, verletzt der Anwalt seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Beratung. Dabei hat der Rechtsanwalt auch auf die durch einen Vergleichsschluss anfallenden Steuern bzw. auf Rückzahlungsansprüche der Arbeitsverwaltung hinzuweisen. Ggf. ist über die unterschiedliche Insolvenzfestigkeit der Ansprüche zu belehren. Das gilt insb. dann, wenn dem Gegner wegen der von diesem erklärten Zahlungsunfähigkeit Ratenzahlung eingeräumt wird, weil dann im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen eine Anfechtbarkeit nach § 133 Abs. 1 InsO naheliegt, die auch noch Rechtshandlungen erfasst, die zehn Jahre vor Beantragung des Insolvenzverfahrens erfolgten. Für Insolvenzverfahren, die ab dem 5.4.2017 beantragt wurden/werden, beträgt diese Frist nach der Reform des Insolvenzanfechtungsrechts bei Deckungshandlungen gem. § 133 Abs. 2 InsO nur noch vier Jahre.
Rz. 290
In einer Entscheidung vom 30.11.1999 hatte der BGH über die Vergleichsempfehlung eines Patentanwalt...