Rz. 475
Vereinbart ein Rechtsanwalt bei einer Strafverteidigung eine Vergütung, die mehr als das Fünffache der gesetzlichen Höchstgebühren beträgt, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie unangemessen hoch ist und das Mäßigungsgebot des § 3 Abs. 3 BRAGO verletzt. Diese Vermutung konnte nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung durch den Rechtsanwalt nur dann entkräftet werden, wenn er ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände darlegt, die es möglich erscheinen lassen, die Vergütung bei Abwägung aller für § 3 Abs. 3 BRAGO maßgeblichen Gesichtspunkte nicht als unangemessen hoch anzusehen. Der BGH hatte bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass Klärungsbedarf hinsichtlich der Voraussetzungen besteht, unter denen der Anwalt die tatsächliche Vermutung der Unangemessenheit der vereinbarten Vergütung erschüttern kann, und dass möglicherweise die sehr hohen Anforderungen der Grundsatzentscheidung BGHZ 162, 98 zu modifizieren sind.
Nach abermaliger Prüfung hat der BGH nunmehr daran festgehalten, dass die mehr als fünffache Überschreitung der gesetzlichen Höchstgebühren für Verteidiger eine tatsächliche Vermutung für die Unangemessenheit der vereinbarten Vergütung bildet. Die Einführung einer solchen Grenze steht in Einklang mit Art. 12 Abs. 1 GG. Infolge der faktischen Leitbildfunktion der gesetzlichen Gebührenordnung kann das Vertrauen der Rechtsuchenden in die Integrität der Anwaltschaft erschüttert werden, wenn sich der Rechtsanwalt ein Honorar versprechen lässt, dessen Höhe die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigt. Andererseits lässt der in einer Vergütungsvereinbarung zum Ausdruck kommende Vertragswille der Parteien auf einen sachgerechten Interessenausgleich schließen, der grds. zu beachten ist. Deshalb darf die Entkräftung der tatsächlichen Vermutung der Unangemessenheit nicht von überzogenen Anforderungen abhängig gemacht werden. Die bei einem qualifizierten Überschreiten der gesetzlichen Gebühren eingreifende Vermutung der Unangemessenheit kann nicht nur in Fällen ganz ungewöhnlicher, geradezu extremer einzelfallbezogener Umstände widerlegt werden. Vielmehr kann nach dem nunmehr maßgeblichen, gemilderten Prüfungsmaßstab auch in nicht durch derartige tatsächliche Verhältnisse geprägten Gestaltungen das Vertrauen in die Integrität der Anwaltschaft im Blick auf die Vergütungshöhe dann nicht beeinträchtigt sein, wenn dem Anwalt der Nachweis gelingt, dass die vereinbarte Vergütung im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände gleichwohl angemessen ist. Als zu berücksichtigende Umstände (vgl. § 14 Abs. 1 RVG, zuvor § 12 Abs. 1 BRAGO) kommen die Schwierigkeit und der Umfang der Sache, ihre Bedeutung für den Auftraggeber und das Ziel, das der Auftraggeber mit dem Auftrag angestrebt hat, in Betracht. Außerdem ist zu berücksichtigen, in welchem Umfang dieses Ziel durch die Tätigkeit des Rechtsanwalts erreicht worden ist, wie weit also das Ergebnis tatsächlich und rechtlich als (Arbeits-)Erfolg des Rechtsanwalts anzusehen ist. Ferner sind die Stellung des Rechtsanwalts und die Vermögensverhältnisse des Auftraggebers in die Bewertung einzubeziehen.
Rz. 476
Die Angemessenheit einer Pauschalvergütung kann insb. davon abhängen, ob damit der ab Beginn der Hauptverhandlung tatsächlich erbrachte Zeitaufwand des Verteidigers sachgerecht entgolten wird. Die Vergütung nach Maßgabe eines Stundenhonorars ist nicht als unangemessen zu beanstanden, wenn diese Honorarform unter Würdigung der Besonderheiten des Einzelfalls sachgerecht erscheint und die geltend gemachte Bearbeitungszeit sowie der ausgehandelte Stundensatz angemessen sind. Weist eine umfangreiche Wirtschaftsstrafsache einen besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeitsgrad auf, wird die Vereinbarung eines Stundenhonorars dem vom Verteidiger zu erbringenden Arbeitsaufwand gerecht.
Der bei der Prüfung eines vereinbarten Stundensatzes anzuwendende Maßstab der Unangemessenheit wird verfehlt, wenn, ausgehend von einem durchschnittlichen Stundensatz von 180,00 EUR für Rechtsanwälte, dieser auch für die Vergütung einer Strafverteidigung in einer Wirtschaftsstrafsache in Ansatz gebracht wird. Damit wird ein als angemessen erachteter Stundensatz gebildet, aber die gebotene Prüfung versäumt, ob der vereinbarte Stundensatz unerträglich i.S.d. von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätze (vgl. Rdn 474) ist. In diesem Zusammenhang kann als Ausgangspunkt nicht auf einen allgemeinen Durchschnittsatz für Rechtsanwälte abgestellt werden, sondern es muss bereits hier auf die konkrete Art des Mandats eingegangen werden.
Bei der Prüfung beanspruchter Stundensätze auf ihre Unangemessenheit im Rahmen des § 3a Abs. 2 Satz 3 RVG kann es von Bedeutung sein, ob der Mandant eine Anwaltskanzlei beauftragt hat, die in den verschiedensten Tätigkeitsbereichen mit angesehenen Spezialisten besetzt ist. Ein gehob...