Rz. 396
§ 50 Abs. 3 BRAO (§ 66 Abs. 2 StBerG; § 51b Abs. 3 WPO) räumt dem Rechtsanwalt ein – neben § 273 Abs. 1 BGB – spezielles Zurückbehaltungsrecht an den Handakten ein. Danach kann der Rechtsanwalt seinem Auftraggeber die Herausgabe der Handakten verweigern, bis er wegen seiner Gebühren und Auslagen befriedigt ist. Eine Ausnahme wird gemacht, soweit die Vorenthaltung der Handakten oder einzelner Schriftstücke nach den Umständen unangemessen wäre (vgl. auch § 17 BORA). Handakten i.S.d. § 50 Abs. 1 BRAO sind nach Abs. 2 Satz 1 und 4 dieser Bestimmung nur diejenigen Schriftstücke, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, nicht aber der Briefwechsel zwischen Rechtsanwalt und Mandant sowie diejenigen Schriftstücke, die dieser bereits in Urschrift oder Abschrift erhalten hat. Entsprechendes gilt, soweit sich der Rechtsanwalt zum Führen von Handakten der elektronischen Datenverarbeitung bedient (§ 50 Abs. 4 BRAO). Dafür, in welchem Umfang der Mandant die bei der Bearbeitung einer Rechtsangelegenheit angefallenen Schriftstücke bereits erhalten hat, ist der Rechtsanwalt darlegungs- und beweisbelastet, da es darum geht, inwieweit der Herausgabeanspruch bereits durch Erfüllung erloschen ist.
Rz. 397
Der BGH hat betont, dass das Zurückbehaltungsrecht des Rechtsanwalts gem. § 50 Abs. 3 BRAO i.d.R. nur wegen der Honorarforderung aus der konkreten Angelegenheit bestehe, auf die sich die zurückbehaltene Handakte beziehe. Soweit es um Geschäftspapiere des Mandanten geht, dürfen Handakten, die eine andere Angelegenheit betreffen, auch dann nicht zurückgehalten werden, wenn es sich insgesamt um ein einheitliches Lebensverhältnis handelt. Das wäre mit Rücksicht auf den Zweck dieser Regelung, dem Rechtsanwalt zur Durchsetzung seiner Gebührenansprüche ein über die allgemeinen zivilrechtlichen Befugnisse hinausgehendes Druckmittel in die Hand zu geben, nicht gerechtfertigt. Auch wegen der Kosten, die durch Vervielfältigung der Handakte vor der Herausgabe entstehen, steht dem Rechtsanwalt kein Zurückbehaltungsrecht zu. Das Zurückbehaltungsrecht des § 50 Abs. 3 BRAO besteht nicht, wenn die Vorenthaltung der Akten oder einzelner Schriftstücke nach den Umständen unangemessen wäre. Dies ist etwa der Fall, wenn sich in den Handakten ein wesentliches Beweisstück für Rechte des Mandanten befindet, die zu verjähren drohen.
Rz. 398
Neben dem besonderen Zurückbehaltungsrecht des § 50 Abs. 3 BRAO kann dem Rechtsanwalt ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 Abs. 1 BGB zustehen. Dessen Voraussetzungen sind z.T. weiter, z.T. aber auch enger als diejenigen des Zurückbehaltungsrechts nach § 50 Abs. 3 BRAO. So setzt § 273 Abs. 1 BGB lediglich voraus, dass der Schuldner aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat. Für "dasselbe rechtliche Verhältnis" i.S.d. § 273 Abs. 1 BGB reicht es aus, dass es als gegen Treu und Glauben verstoßend erscheint, einen Anspruch ohne Rücksicht auf einen sich aus diesem Lebensverhältnis ergebenden Gegenanspruch geltend zu machen. Andererseits ist ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB aber ausgeschlossen, wenn dem die Natur des Schuldverhältnisses entgegensteht. Dies hat der BGH bejaht für Geschäftspapiere, die für die ordnungsgemäße Bearbeitung der jeweiligen Angelegenheit alsbald benötigt werden, also etwa für vollstreckbare Urkunden, die fällige Forderungen betreffen.