Rz. 105
Die Pflicht des Beraters in steuerrechtlichen Angelegenheiten verlangt sachgerechte Hinweise über die Art, die Größe und die mögliche Höhe eines Steuerrisikos, um den Mandanten in die Lage zu versetzen, über sein weiteres Vorgehen zu entscheiden. Ist die Rechtslage auch nach Ausschöpfung der eigenen Erkenntnismöglichkeiten unklar und hat die Angelegenheit für die Entscheidung des Mandanten erhebliche Bedeutung, hat der Berater den Mandanten auf die Möglichkeit einer verbindlichen Auskunft des Finanzamts nach § 89 Abs. 2 AO hinzuweisen. Schon vor Einführung des § 89 Abs. 2 AO mit Wirkung vom 12.9.2006 konnten die Finanzämter verbindliche Zusagen erteilen, was allerdings in ihrem Ermessen stand. Das Gebot des sichersten Weges (vgl. Rdn 114 ff.) verlangt einen solchen Hinweis. Die möglichen Vor- und Nachteile der Einholung einer solchen verbindlichen Auskunft hat der Berater dem Mandanten darzustellen. Die Entscheidung, ob die Auskunft eingeholt wird, hat der Mandant zu treffen, der Berater hat sie umzusetzen. Die Rechtsprechung des BGH zu den Voraussetzungen, unter denen ein Hinweis auf diese Möglichkeit zu geben ist, ist derzeit im Hinblick auf die eigene Beratungspflicht (und wohl auch Kompetenz) des Beraters recht restriktiv. Die Angelegenheit müsse für die Entscheidung des Mandanten von "schwerwiegender Bedeutung" sein, die Beratung müsse eine "einschneidende, dauerhafte und später praktisch nicht mehr rückgängig zu machende rechtliche Gestaltung" betreffen. Das ist zu eng. Der Hinweis muss bereits unter weniger strengen Voraussetzungen verlangt werden, nämlich entsprechend § 89 Abs. 2 AO immer dann, wenn die Rechtslage für den Mandanten erhebliche steuerliche Auswirkungen und er an der Klärung ein besonderes Interesse hat. Ist in solchen Fällen die Rechtslage – wie in diesen Fällen regelmäßig – unklar, muss der Mandant ohnehin auf diesen Umstand hingewiesen werden (vgl. Rdn 102). Dann muss auch die einzige Möglichkeit zur zuverlässigen Abhilfe angeboten werden. Ist ein berechtigtes Auskunftsersuchen gestellt, ist die Empfehlung eines (anderen) Beraters, das Ersuchen zurückzunehmen, eine Pflichtverletzung, wenn das alternative Modell, das nun zum Gegenstand eines neuen Auskunftsersuchens gemacht werden soll, deutlich geringere Chancen auf Anerkennung hat, und der (neue) Berater nicht realistisch auf die Chancen und Risiken hinweist. Bei der Beratung zur Frage der Einholung einer verbindlichen Auskunft ist selbstverständlich zu berücksichtigen, ob hierfür überhaupt genügend Zeit bleibt und dass eine Auskunft nicht in allen Fällen erteilt wird. Bei rechtlich komplizierten Kapitalanlage- und Steuersparmodellen wird häufig nicht mit einer verbindlichen Auskunft gerechnet werden können. Im Regressprozess gegen den Steuerberater muss dann zur Kausalität der Pflichtverletzung natürlich auch dargelegt und bewiesen werden, dass bei entsprechender Belehrung der Mandant sich für die Einholung einer verbindlichen Auskunft entschieden hätte, dass diese erteilt worden wäre und welchen Inhalt sie gehabt hätte.