Rz. 536
Hat der Auftraggeber einen Zahlungsanspruch gegen den Rechtsanwalt, so kann dieser gem. §§ 387 ff. BGB aufrechnen mit Ansprüchen auf Zahlung der Vergütung (§ 675 Abs. 1 mit §§ 611, 612 oder 631, 632 BGB) und auf Ersatz von Auslagen (§§ 670, 675 Abs. 1 BGB), und zwar auch mit entsprechenden Forderungen aus früheren Mandaten.
Rz. 537
Ein Gerichtsurteil kann gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen, wenn eine aufrechenbare Schadensersatzforderung gegen einen Rechtsanwalt willkürlich verneint wird, obwohl dieser seinen Mandanten, der Arbeitslosenhilfe bezog, pflichtwidrig nicht auf die Möglichkeit der Beratungshilfe hingewiesen hat.
Rz. 538
Vergütungsforderungen des Rechtsanwalts und ein auf Geld gerichteter Herausgabeanspruch des Mandanten aus §§ 667, 675 Abs. 1 BGB sind allerdings i.d.R. nicht gleichartig i.S.d. § 387 BGB, sodass insoweit eine Aufrechnung ausscheidet; anders ist dies, wenn der Rechtsanwalt eine Geldforderung seines Auftraggebers nicht über ein Treuhandkonto, sondern über ein eigenes Bankkonto eingezogen hat, weil dann der Herausgabeanspruch die Zahlung eines entsprechenden Betrages betrifft.
Der amtlich bestellte Abwickler einer Anwaltskanzlei kann gegen den Anspruch auf Herausgabe des aus der Abwicklung Erlangten mit seiner Vergütungsforderung auch dann aufrechnen, wenn zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren über das Vermögen des ehemaligen Rechtsanwalts eröffnet wurde; nach Ablauf seiner Bestellung ist der Abwickler zur Herausgabe des Fremdgelds an den Verwalter verpflichtet, ohne dass er mit seinem Vergütungsanspruch aufrechnen darf.
Rz. 539
Gegen unpfändbare Ansprüche kann nicht aufgerechnet werden (§ 394 BGB), gegen zweckgebundene Ansprüche nur mit solchen Gegenforderungen, deren Erfüllung demselben Zweck dient. Nach § 4 Abs. 3 BORA darf der Rechtsanwalt eigene Forderungen nicht mit Geldern verrechnen, die an ihn zweckgebunden für Dritte gezahlt worden sind.
Rz. 540
Die Aufrechnung ist über die gesetzlich und vertraglich ausdrücklich geregelten Fälle hinaus ausgeschlossen, wenn nach dem besonderen Inhalt des Schuldverhältnisses der Ausschluss als stillschweigend vereinbart anzusehen ist (§ 157 BGB) oder wenn wegen der Natur der Rechtsbeziehung oder wegen des Zwecks der geschuldeten Leistung eine Erfüllung im Wege der Aufrechnung mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) unvereinbar wäre.
Rz. 541
Wegen der Natur eines Treuhandverhältnisses darf der fremdnützige Treuhänder gegen den Herausgabeanspruch des Treugebers aus §§ 667, 675 Abs. 1 BGB grds. nicht mit Gegenforderungen aufrechnen, die ihren Grund nicht in dem Treuhandvertrag und den damit verbundenen Aufwendungen haben. Dagegen ist die Aufrechnung dann unbeschränkt zulässig, wenn der Treuhandabrede ein gesetzlich verbotenes Ziel – etwa eine Vollstreckungsvereitelung (§ 288 StGB) – zugrunde liegt.
Rz. 542
Die in einem formularmäßigen Anwaltsvertrag enthaltene Klausel, wonach jede Aufrechnung ggü. der Honorarforderung ausgeschlossen ist, ist wegen unangemessener Benachteiligung des Mandanten unwirksam.
Rz. 543
In den Fällen, in denen eine Aufrechnung ausgeschlossen ist, kann eine fällige Geldforderung auch nicht "zurückbehalten" werden, weil dies einer Aufrechnung gleichkäme. Ggü. einem Anspruch des Treugebers aus §§ 667, 675 Abs. 1 BGB auf Herausgabe des vom Treuhänder auftragsgemäß erworbenen Eigentums ist wegen der Natur des Treuhandverhältnisses ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) grds. ausgeschlossen wegen solcher Gegenforderungen, die in keinem Zusammenhang mit der Geschäftsbesorgung stehen.
Rz. 544
Ein Zurückbehaltungsrecht des Rechtsanwalts an den Handakten aus § 50 Abs. 3 BRAO besteht i.d.R. nur wegen der Honorarforderung aus der Angelegenheit, auf die sich die Handakte bezieht (vgl. Rdn 396 ff.).
§ 50 BRAO schränkt Ansprüche des Auftraggebers gegen den Rechtsanwalt auf Herausgabe von Handakten (§§ 667, 675 Abs. 1 BGB) und auf Einsichtnahme in Handakten (§§ 666, 675 Abs. 1 BGB) dahin ein, dass solche Ansprüche sich nicht auf Aufzeichnungen über persönliche Eindrücke, den Briefwechsel zwischen den Parteien des Anwaltsvertrages und anwaltliche Notizen über Gespräche mit dem Mandanten erstrecken.
Eine vertragswidrige Verweigerung der Rückgabe von Unterlagen kann im Regressprozess zu Beweisnachteilen führen.