Rz. 296

Die Verkehrssicherungspflicht für Straßen und öffentliche Verkehrsflächen soll den Gefahren begegnen, die aus der Zulassung eines öffentlichen Verkehrs auf öffentlichen Straßen für Dritte entstehen können.[685] Sie besteht gegenüber den Verkehrsteilnehmern, aber auch gegenüber den Anliegern.[686] Die Straßenverkehrssicherungspflicht ist privatrechtlicher Natur,[687] es sei denn, dass sie durch Gesetz oder besonderen Organisationsakt als öffentlich-rechtliche Amtspflicht ausgestaltet ist. Die Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht bestimmt sich daher grundsätzlich nach allgemeinem Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB in Verbindung mit §§ 89, 31 BGB), § 839 BGB greift ein, wenn ein Land – was in allen Bundesländern geschehen ist[688] – die Verkehrssicherungspflicht öffentlich-rechtlich geregelt hat. Die öffentlich-rechtlich ausgestaltete Verkehrssicherungspflicht ist ein Unterfall der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht,[689] sofern ihr Umfang nicht gesondert festgelegt ist.[690] Bei einem Verstoß gegen die Amtspflicht zur Verkehrssicherung ist die Amtshaftung nach § 839 BGB die speziellere Regelung und schließt als Sonderregelung die Haftung nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 823 ff. BGB aus.[691] Das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB gilt nicht,[692] weil die dem Amtsträger als hoheitliche Aufgabe obliegende Pflicht mit der allgemeinen Verkehrssicherungspflichtdeckungsgleich ist.[693] So verhält es sich auch, wenn die Straßenreinigungspflichten durch Ortssatzung den Anliegern übertragen sind und der Amtsträger Überwachungspflichten verletzt hat, die ihm als hoheitliche Aufgabe obliegen,[694] und wenn der Amtsträger seine Pflicht verletzt hat, Straßenbäume auf ihre Standsicherheit zu überprüfen.[695] Entscheidend für die Nichtanwendung des Verweisungsprivilegs ist also, ob sich die einem Amtsträger als hoheitliche Aufgabe obliegende Pflicht mit der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht deckt, die jeden trifft, der einen Verkehr eröffnet.

[685] BGH, Urt. v. 13.7.1989 – III ZR 122/88, BGHZ 108, 273; BGH, Urt. v. 2.7.1970 – III ZR 45/67, NJW 1970, 1682; OLG Jena, Urt. v. 31.5.2010 – 4 U 884/10, juris Rn 18.
[686] BGH, Urt. v. 29.1.1968 – III ZR 158/65, VersR 1968, 555 (556); BGH, Urt. v. 21.11.2013 – III ZR 113/13, NVwZ-RR 2014, 252 Rn 13.
[687] BGH, Urt. v. 30.4.1953 – III ZR 377/51, BGHZ 9, 373; BGH, Urt. v. 18.12.1972 – III ZR 121/70, BGHZ 60, 54 (55); BGH, Urt. v. 5.12.1991 – III ZR 31/90, VersR 1992, 444; BGH, Urt. v. 14.2.2017 – VI ZR 254/16, VersR 2017, 563 Rn 5 m.w.N.
[688] Vgl. dazu Geigel/Wellner, Kap. 14 Rn 67.
[689] BGH, Urt. v. 24.7.2014 – III ZR 550/13, zfs 2015, 78 Rn 15 m.w.N.
[690] BGH, Urt. v. 18.12.1972 – III ZR 121/70, BGHZ 60, 54 (62); BGH, Urt. v. 12.7.1979 – III ZR 102/78, BGHZ 75, 134 (138); BGH, Urt. v. 11.6.1992 – III ZR 134/91, BGHZ 118, 368 (373); BGH, Urt. v. 23.7.2015 – III ZR 86/15, VersR 2016, 63 Rn 16; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.10.1993 – 18 U 67/93, NJW-RR 1994, 1442; OLG Celle, Urt. v. 6.8.1997 – 9 U 15/97, VersR 1998, 604.
[691] BGH, Urt. v. 18.12.1972 – III ZR 121/70, BGHZ 60, 54 (62 f.); BGH, Urt. v. 5.7.1990 – III ZR 217/89, BGHZ 112, 74 (75); BGH, Urt. v. 6.6.2019 – III ZR 124/18, MDR 2019, 989 Rn 10.

a) Abgrenzung zur Verkehrsregelungspflicht und zur polizeimäßigen Straßenreinigungspflicht

 

Rz. 297

Inhalt der Verkehrsregelungspflicht ist es, für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu sorgen; dazu sind Verkehrszeichen und sonstige Verkehrseinrichtungen aufzustellen.[696] Die Verkehrsregelung mittels Verkehrszeichen (§ 45 StVO) ist eine hoheitliche Aufgabe und obliegt als Amtspflicht der örtlich und sachlich zuständigen Straßenverkehrsbehörde (§ 44 Abs. 1, § 45 Abs. 3, 4 StVO) oder, wenn sie zur Durchführung von Straßenbauarbeiten erfolgt, den Straßenbaubehörden (§ 45 Abs. 2 StVO).[697] Hier gilt das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB.[698] Das Aufstellen von Gefahrzeichen kann zur Erfüllung der Verkehrsregelungs- und der Verkehrssicherungspflicht geboten sein.[699] Das ist zB der Fall, wenn Wild häufig eine Straße überquert; dann kann es zur Sicherheit der Verkehrsteilnehmer geboten sein, das Gefahrzeichen "Wildwechsel" anzubringen.[700]

 

Rz. 298

Sowohl die Verkehrsregelungs- als auch die Verkehrssicherungspflicht verfolgen das Ziel, Gefahren durch den öffentlichen Straßenverkehr zu vermeiden. Für beide Pflichten gelten vergleichbare Maßstäbe,[701] sie sind haftungsrechtlich einheitlich zu betrachten.[702] Ein Nebeneinander der Haftung aus der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht...

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