Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 159
Die Rechtsprechung begrenzt die Schadensersatzpflicht, indem nach dem Schutzzweck der Norm gefragt wird. Eine Haftung besteht nur für diejenigen äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde. Der geltend gemachte Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein "äußerlicher", gleichsam "zufälliger" Zusammenhang genügt nicht. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten. Bei einer derart wertenden Betrachtung besteht z.B. in der Regel die Einstandspflicht des Arztes, dem ein Behandlungsfehler unterlaufen ist, für die Folgen eines deshalb beim Patienten notwendigen Zweiteingriffs durch einen nachbehandelnden Arzt. Die Zurechnung kann verneint werden, wenn das Schadensrisiko der Erstbehandlung im Zeitpunkt der Weiterbehandlung schon gänzlich abgeklungen war, sich der Behandlungsfehler des Erstbehandelnden auf den weiteren Krankheitsverlauf also nicht mehr ausgewirkt hat, oder wenn es um die Behandlung einer Krankheit geht, die mit dem Anlass für die Erstbehandlung in keiner Beziehung steht, oder wenn der die Zweitschädigung herbeiführende Arzt in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes ärztliches Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und derart gegen alle ärztlichen Regeln und Erfahrungen verstoßen hat, dass der eingetretene Schaden seinem Handeln haftungsrechtlich wertend allein zugeordnet werden muss.
Rz. 160
Die Zurechnung nach dem Normzweck wird manchmal allzu rasch verneint. Als Beispielsfall mag ein Auffahrunfall auf eisglatter Fahrbahn dienen, nach dem der Fahrer des vorausfahrenden Fahrzeugs aussteigt, um sich über die Unfallfolgen zu informieren und auf dem Glatteis an der Unfallstelle zu Fall kommt, wobei er sich verletzt. In diesem Fall hatte das Berufungsgericht die Auffassung vertreten, hier habe sich eine aufgrund der Straßenverhältnisse gegebene allgemeine Unfallgefahr, also ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, sodass der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verkehrsunfall und dem Sturz des Unfallbeteiligten zu verneinen sei. Das ist falsch. Dem Täter sollen zwar nur solche Folgen zugerechnet werden, die durch den Gebots- und Verbotszweck der Norm verhindert werden sollen, weshalb Sinn und Tragweite der verletzten Norm zu untersuchen sind, um zu klären, ob der geltend gemachte Schaden durch diese Norm verhütet werden sollte. Sowohl der Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB als auch der des § 7 Abs. 1 StVG umfassen indes einen solchen Schaden, der unmittelbar aufgrund der Unfallsituation entsteht.