Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 999
Die Fahrbahn muss in einem Zustand unterhalten werden, der dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügt. Auch wenn der Benutzer die Straße in demjenigen Zustand hinzunehmen hat, in dem sie sich ihm erkennbar darbietet, verlangt das den Schutz vor überraschenden Gefahren und vor Gefahren, die sich gerade deshalb verwirklichen können, weil im Kraftverkehr mit höheren Geschwindigkeiten – insbesondere auf Autobahnen – zu rechnen ist. Fußgänger können auf Fahrbahnen grundsätzlich nur mit dem Sicherheitsstandard rechnen, der für Fahrzeuge notwendig ist, was eine maßgebliche Rolle dafür spielt, welche Unebenheiten sie beim Queren von Fahrbahnen zu tolerieren haben. Die für sie schon nach dem Widmungszweck vorrangig vorgesehenen Gehwege sind dagegen anderen, durchweg strengeren Anforderungen unterworfen. Sonderrisiken, die sich aus der spezifischen Bauart von Fahrzeugen ergeben, muss vorrangig der Straßennutzer selbst abschätzen, weil nur ihm die konkrete Bauart und ihre Auswirkungen auf die Fahrdynamik bekannt sind. Überdies kann das Befahren von Straßen mit erkennbaren Unebenheiten mit Fahrzeugen mit stark verminderter Bodenfreiheit im Schadensfalle ein haftungsausschließendes Mitverschulden begründen.
Rz. 1000
Dagegen müssen Fahrbahnen grundsätzlich auch für Motorräder und Fahrräder geeignet sein. Ist das nicht oder nur unter besonderer Vorsicht des Straßennutzers der Fall, bedarf es besonderer Warnungen vor Bodenunebenheiten, Rollsplitt oder materialbedingter Glätte.
Rz. 1001
Ausgebaute Seiten- und Randstreifen dienen dem Verkehrszweck im Rahmen gelegentlichen Ausweichens und Anhaltens. Ohne entgegenstehende Anhaltspunkte darf der Straßennutzer annehmen, dass sie gefahrlos benutzt werden können. Jedenfalls unbefestigte Bankette dienen dagegen dem Ausweichen nur in Sondersituationen und mit besonders angepasster Geschwindigkeit. Die Annahme, ein Bankett müsse so ausgebaut sein, dass es mit unverminderter Geschwindigkeit befahren werden könne, ist deshalb ausgeschlossen. Besonderer Warnhinweise bedarf das nicht. Beträchtliche Höhenunterschiede (15 cm) zwischen Straßendecke und unbefestigtem Fahrbahnrand sind jedoch soweit zumutbar zu vermeiden, sofern sie eine besondere Gefahrenlage schaffen. Allerdings liegt im Befahren eines Banketts mit einer solch erheblichen Vertiefung dann ein haftungsausschließendes Mitverschulden des Fahrzeugführers begründet, wenn er vermeidbar mit nicht unerheblicher Geschwindigkeit (40–50 km/h) darüber fährt.
Rz. 1002
Haben sich Schlaglöcher in der Fahrbahn gebildet, stellt dies nicht in jedem Fall eine Verkehrssicherungspflichtverletzung dar. Gewisse Unebenheiten in der Fahrbahn sind von den Verkehrsteilnehmern hinzunehmen. Dabei ist zu beachten, dass ein offenkundig schlechter Fahrbahnzustand in der Regel vor sich selbst warnt, mithin die Verkehrsteilnehmer bei der gebotenen Aufmerksamkeit die betroffene Straße gefahrlos passieren können. Die Rechtsprechung nimmt daher eine Verkehrssicherungspflichtverletzung nur dann an, wenn es sich um Schadstellen von erheblicher Tiefe und/oder Ausdehnung handelt, und differenziert dabei nach der Verkehrsbedeutung der Straße. In Nordrhein-Westfalen ist nach der Rechtsprechung auf verkehrswichtigen Straßen eine Verkehrssicherungspflichtverletzung erst ab einer Tiefe des Schlaglochs von mindestens 15 cm anzunehmen; lediglich auf Autobahnen stellen Schlaglöcher bereits ab einer Tiefe von 10 cm eine von dem Verkehrssicherungspflichtigen zu beseitigende, abhilfebedürftige Gefahrenquelle dar. Die Fallfrage, ab welcher Tiefe eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle anzunehmen ist, wird allerdings von den Obergerichten nicht einheitlich beantwortet. So sieht etwa das OLG Jena eine Schlaglochtiefe von 10 cm (Größe 50 x 50 cm) auf einer vielbefahrenen innerörtlichen Straße bereits als Verkehrssicherungspflichtverletzung an. Auf einer Berliner Hauptverkehrsstraße sieht das Kammergericht eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle bereits bei einer Vertiefung von 5 cm.
Rz. 1003
Auf Straßen mit untergeordneter Verkehrsbedeutung, wie etwa Wirtschaftswegen, sind die Anforderungen an den Verkehrssicherungspflichtigen demgegenüber deutlich geringer. So nimmt etwa das OLG Hamm an, dass bei Feldwegen eine Schlaglochtiefe auch von mehr als 15 cm hinzunehmen ist.
Rz. 1004
Kanalschächte und deren Abdeckungen führen häufig zu Niveauunterschieden und Unebenheiten, die bei größerer Ausprägung durch Anrampungen zu beseitigen sind. Gefahren treffen zwar insbesondere Motorräder und Fahrräder, können aber auch den Kraftfahrzeugverkehr beeinträchtigen. Das Maß der noch hinzunehmenden Unebenheit richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Dabei spielen die Verkehrsbedeutung der Straße und die Erkennbarkeit der Gefahr eine wesentliche Rolle sowie, ob die Unebenheit für den Verkehr leicht zu tolerieren ist oder beispielsweise wegen ihrer Scharfkantigkeit erhöhtes Unfallpotential bewirkt. Nach dem OLG Jena kön...