Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 249
Nicht selten sind zivilrechtliche Ansprüche eines Unfallopfers gem. den §§ 104 ff. SGB VII ausgeschlossen (näher dazu § 38 Rdn 1 ff.).
Rz. 250
Die gesetzliche Unfallversicherung verlagert den Schadensausgleich bei "Arbeitsunfällen" aus dem individualrechtlichen in den sozialrechtlichen Bereich. Die zivilrechtliche Haftung des Unternehmers bzw. Kollegen für fahrlässiges Verhalten bei Personenschäden wird durch die öffentlich-rechtliche Leistungspflicht der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung abgelöst. Verbunden mit dieser Ablösung ist eine entsprechende Haftungsfreistellung der Betriebsangehörigen. Die gesetzliche Regelung dient u.a. dem Schutz des Geschädigten durch Einräumung eines vom Verschulden unabhängigen Anspruchs gegen einen leistungsfähigen Schuldner. Der Geschädigte muss weder ein Verschulden des Schädigers nachweisen noch sich ein eigenes Mitverschulden anrechnen lassen. Die sozialrechtlichen Ansprüche werden, falls ein Versicherungsfall vorliegt, ohne Verzögerung durch langwierige und mit dem Risiko eines Zivilprozesses behaftete Auseinandersetzungen mit dem Schädiger reguliert. Dazu bedarf es nicht einmal eines Tätigwerdens des Geschädigten. Wenn die Unfallversicherung von dem Schadensfall erfährt, wird geprüft, ob Unfallversicherungsschutz besteht. Ist dies der Fall, werden die nach dem Gesetz bestehenden Ansprüche von Amts wegen festgestellt. Wird zunächst ein nicht zuständiger Unfallversicherungsträger mit dem Fall befasst, gibt er die Sache an den zuständigen Träger weiter. Die Regelung der §§ 104 ff. SGB VII ist unter diesen Umständen verfassungsgemäß, denn sie stellt einen gerechten Ausgleich in der jeweiligen Gefahrengemeinschaft dar, in der jeder je nach den Umständen Schädiger oder Geschädigter sein kann.
Rz. 251
Der Begriff des "Arbeitsunfalls" (Betriebs- oder Wegeunfall) ist mit Blick auf den weiten Bereich der nach den §§ 2 ff. SGB VII Versicherten in weiterem Sinne zu verstehen. Beispielsweise ist ein Schulunfall ein Arbeitsunfall im Sinne des SGB VII.
Rz. 252
Ob ein Versicherungsfall vorliegt, mithin ein Haftungsausschluss in Betracht kommt, haben in erster Linie die Unfallversicherungsträger bzw. im Streitfall die Sozialgerichte zu entscheiden (näher § 37 Rdn 1 ff.). Nach § 108 SGB VII ist ein Gericht, das über Ersatzansprüche der in den §§ 104 bis 107 genannten Art zu entscheiden hat, an eine unanfechtbare Entscheidung nach dem SGB VII oder nach dem SGG gebunden, ob ein Versicherungsfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist (Abs. 1); das Gericht hat sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach Abs. 1 ergangen ist; falls ein solches Verfahren noch nicht eingeleitet ist, bestimmt das Gericht dafür eine Frist, nach deren Ablauf die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens zulässig ist (Abs. 2). Der BGH hat sich mit dem Vorrang der sozialrechtlichen Entscheidungen und deren Bindungswirkung in einer Reihe von Entscheidungen befasst. Dabei ist er allerdings z.T. über das Ziel hinausgeschossen.
Rz. 253
Selbstverständlich gilt der Haftungsausschluss nur im Verhältnis zu den von der Regelung Betroffenen (Arbeitskollegen, Mitschülern usw.). So kann etwa ein Verkehrsunfall für einen der Beteiligten ein Arbeits- oder Arbeitswegeunfall sein und Unfallversicherungsschutz begründen; ist der Unfallgegner irgendein Dritter, kommt ein Haftungsausschluss nicht in Betracht.
Rz. 254
Ein typisches Beispiel für den Haftungsausschluss ist die Pannenhilfe. Wer am privaten Pkw eines anderen unentgeltlich und aus Gefälligkeit Reparaturen ausführt, wird wie ein aufgrund eines Arbeitsverhältnisses in der privaten Kfz-Haltung Beschäftigter tätig und ist deshalb unfallversichert (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII). Er kann deshalb den Kfz-Halter wegen von diesem fahrlässig verursachter Verletzungen bei den Reparaturarbeiten nicht in Anspruch nehmen. Das "Unternehmen" des Kfz-Halters ist die nicht gewerbsmäßige Fahrzeughaltung (§§ 129 Abs. 1 Nr. 2, 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII). Wird die Hilfe dem Fahrer des Pkw geleistet, ist dieser haftungsprivilegiert. Verletzt umgekehrt der Helfer den Kfz-Halter und liegen die Voraussetzungen für ein Haftungsprivileg des Helfers vor, ist der – nicht versicherte – Kfz-Halter nach § 105 Abs. 2 SGB VII so zu stellen, wie wenn er versichert wäre, es sei denn, eine Ersatzpflicht des Schädigers gegenüber dem Unternehmer ist zivilrechtlich ausgeschlossen. In diesem Fall ist der Helfer nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII haftungsprivilegiert. Ob ein Freundschafts- oder Gefälligkeitsdienst als versicherte Tätigkeit anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls. So soll etwa die Starthilfe für den Pkw des Geschädigten, die sich darauf beschränkt, die Zündung des anderen Pkw zu betätigen, nachdem der Geschädigte selbst mit Überbrückungskabeln die Verbindung zwischen den Batterien in den beiden Fahrzeugen hergestellt hat, nicht als ernsthafte Arbeit mit der Folge der Haftungsprivilegier...