Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 301
Der Umfang der Widmung einer Straße ist entscheidend für den Umfang der Verkehrssicherungspflicht. Für welche Art Verkehr eine Straße oder ein Weg gewidmet ist, richtet sich nach seinem äußeren Erscheinungsbild unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsanschauung. Auf den Zweck der Benutzung der Straße durch den einzelnen Verkehrsteilnehmer kommt es nicht an. Auch gegenüber Straftätern besteht die Verkehrssicherungspflicht. Eine Beschränkung der Widmung und damit der Verkehrssicherungspflicht ergibt sich nur aus Anordnungen, die an Ort und Stelle durch Verkehrsschilder oder sonstige Hinweise kenntlich gemacht sind oder aus Beschränkungen, die aus der Natur des Weges folgen: Ein Waldweg ist erkennbar nicht für schwere Lkws zugelassen. Bei einem ersichtlich unbefestigten, behelfsmäßigen Weg – einem Trampelpfad – sind an die Verkehrssicherungspflicht keine hohen Anforderungen zu stellen.
Rz. 302
Die Verkehrssicherungspflicht erfordert eine regelmäßige Überprüfung der Straße, um neu entstandene Schäden und Gefahren erkennen und die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen durchführen zu können. Eine Kontrolle des Straßenzustandes muss auch bei Nacht und unter ungünstigen Sichtverhältnissen erfolgen, um ein vollständiges Bild über die tatsächliche Verkehrssicherheit der Straße zu erhalten.
Rz. 303
Die Häufigkeit der Überprüfungen richtet sich nach der Verkehrsbedeutung der Straße, also Art und Häufigkeit ihrer Benutzung. Es ist ausreichend, wenn Landstraßen mit regionaler Verkehrsbedeutung in Abständen von drei Tagen kontrolliert werden. Kontrollfahrten im Abstand von einer Woche auf einer Landstraße verletzen die Verkehrssicherungspflicht jedenfalls dann nicht, wenn auch bei kürzeren Abständen der gefährliche Zustand nicht hätte bemerkt werden können. Stark befahrene Strecken müssen in der Regel häufiger als einmal pro Woche kontrolliert werden. Von Fußgängern häufig benutzte Plätze mit Gleisanlagen müssen häufiger als nur alle zwei Monate kontrolliert werden.
Rz. 304
Die Verkehrssicherungspflicht umfasst die gesamte Straße. Zur Straße gehören nicht nur der eigentliche Straßenkörper mit Unterbau, Straßengrund, Straßendecke und Fahrbahn, sondern auch Bankette, Sicherheitsstreifen, Straßengräben, Böschungen, Straßenbäume, Parkstreifen zwischen der Fahrbahn und dem Gehweg und Parkwege einschließlich der erfahrungsgemäß tatsächlich betretenen Flächen.
Rz. 305
Inwieweit der Verkehrssicherungspflichtige den Luftraum freihalten, Warntafeln aufstellen oder die Straße für bestimmte Fahrzeuge sperren muss, ist von der Verkehrsbedeutung und Funktion der Straße abhängig. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht richtet sich nach der Erkennbarkeit der Gefahrenquelle, dem Grad der Frequentierung und der Breite der Straße, der Höhe des in den Fahrbahnluftraum hineinragenden Gegenstandes und der konkret an dieser Stelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Einigkeit besteht in der Rechtsprechung darin, dass die Verkehrssicherungspflicht es nicht erfordert, den Luftraum über den Straßen generell in der nach § 32 Abs. 2 StVZO für Fahrzeuge geltenden maximal zulässigen Höhe von 4 m freizuhalten. Bei Straßen von erheblicher Verkehrsbedeutung, also bei Bundesstraßen und Ausfallstraßen, ist es im Interesse der Verkehrssicherheit und des Schutzes der Rechtsgüter der Verkehrsteilnehmer unabweislich, dass der Verkehrsraum in dem Umfang, in dem er von Fahrzeugen mit den gesetzlich maximal zulässigen Abmessungen in Anspruch genommen werden kann, von Bäumen und Ästen ebenso wie von sonstigen störenden Einflüssen freigehalten wird. Bei Straßen mit geringerer Verkehrsbedeutung und bei innerstädtischen Straßen müssen Führer besonders hoher Fahrzeuge den Luftraum oberhalb der Straße beobachten. Das Interesse an der Erhaltung alten Baumbestandes an öffentlichen Straßen ist mit in Betracht zu ziehen. Ist dem Verkehrssicherungspflichtigen die Beseitigung der Gefahr nicht zumutbar, dann muss er vor ihr zumindest deutlich warnen.
Rz. 306
Wegen der Kasuistik zum Inhalt der Straßenverkehrssicherungspflicht und Straßenunterhaltungspflicht im Einzelnen (Straßenbau und -unterhaltung, Überwachungs- und Warnpflichten, Kanaldeckel, Straßenbäume, Bürgersteige und Unebenheiten) wird auf die Kommentierung zur öffentlich-rechtlichen Wegeunterhaltungspflicht, § 2 Rdn 991–1022 verwiesen. Wegen der Verkehrssicherungspflicht für Wasserstraßen, Fahrrinnen, Häfen, Schleusen, Schiffsliegeplätzen siehe § 6 Rdn 23–28.