Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 1102
Nicht immer, wenn einem Gläubiger, etwa einer unfallgeschädigten Person, mehrere Schuldner gegenüber stehen, sind diese untereinander gesamtschuldnerisch verbunden. Das gilt selbst dann, wenn die gegen die Schuldner gerichteten Ansprüche durch ein und dasselbe Unfallereignis zur Entstehung gelangt sind. Um zu klären, ob die rechtlichen Beziehungen bei dieser Schuldnermehrheit den Regeln über die Gesamtschuld unterliegen und ein Gesamtschuldnerausgleich in Betracht kommt, muss zunächst geprüft werden, ob überhaupt eine Gesamtschuld besteht.
Rz. 1103
In aller Regel unproblematisch ist die Feststellung, ob die Voraussetzungen einer gesamtschuldnerischen Verbundenheit der Schuldner vorliegen, bei bestimmten vertraglichen Gestaltungen und bei gesetzlicher Regelung. Die Qualifizierung einer Schuldnermehrheit als Gesamtschuldverhältnis bereitet daher eher nur selten Schwierigkeiten.
Rz. 1104
Eindeutig sind meistens vertragliche Absprachen über die gesamtschuldnerische Haftung einer Schuldnermehrheit. Solche Abreden können ausdrücklich getroffen werden. Sie können jedoch auch konkludent erklärt werden oder sich durch Auslegung ermitteln lassen. Verpflichten sich mehrere Personen durch Vertrag zu einer teilbaren Leistung, dann haften sie gemäß § 427 BGB im Zweifel als Gesamtschuldner.
Rz. 1105
Klar sind die Fallgestaltungen, bei denen sich das Vorliegen einer Gesamtschuld unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Solche gesetzlichen Regeln finden sich in zahlreichen Vorschriften (so in §§ 42 Abs. 2, 53, 54, 86, 88, 89 Abs. 2, 427, 769, 840 Abs. 1, 1357 Abs. 1 S. 2, 1437 Abs. 2, 1459 Abs. 2, 2058 BGB, § 128 HGB, § 115 Abs. 1 S. 4 VVG). Im Übrigen gilt: Nach § 421 BGB liegt eine Gesamtschuld vor, wenn mehrere eine Leistung in der Weise schulden, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet ist, der Gläubiger die Leistung nach seiner Wahl von einem oder mehreren Mitschuldnern jedoch nur einmal zu fordern berechtigt ist. Nach seinem Wortlaut ist § 421 BGB allerdings sehr weit gefasst. In den Fällen, in denen sich die gesamtschuldnerische Verbundenheit der Anspruchsgegner weder unmittelbar aus einer gesetzlichen oder einer vertraglichen Regelung entnehmen lässt, stellt sich daher die Frage nach weiteren Kriterien. Es ist auf verschiedene Weise versucht worden, zusätzliche, dem § 421 BGB nicht unmittelbar zu entnehmende Voraussetzungen für die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses herauszuarbeiten. Insbesondere der Gleichstufigkeit der Verpflichtungen kommt als Abgrenzungskriterium zentrale Bedeutung zu. Eine Gesamtschuld wird danach entscheidend davon bestimmt, dass die einzelnen Verpflichtungen gleichstufig nebeneinander stehen und es nicht einen nur vorläufig oder einen endgültig Verpflichteten gibt.
Rz. 1106
Für den Bereich des Unfallhaftpflichtrechts ist die Erörterung derartiger zusätzlicher Kriterien zu den in § 421 BGB genannten von eher untergeordneter Bedeutung. Denn es greifen in aller Regel gesetzliche Regeln ein, die das Vorliegen einer Gesamtschuld festlegen. Hier unterliegt die ganz überwiegende Zahl der Fälle der Regelung des § 840 Abs. 1 BGB, der die gesamtschuldnerische Haftung einer Mehrheit von Schuldnern gesetzlich anordnet.
Rz. 1107
Nach § 840 Abs. 1 BGB haften mehrere Personen dann, wenn sie nebeneinander für den aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schaden verantwortlich sind, als Gesamtschuldner. Dies gilt auch, wenn sich die Haftung einzelner oder sämtlicher Schädiger nur aus Gefährdungshaftung ergibt. Für den Bereich des Pflichtversicherungsgesetzes wird diese Vorschrift durch die gesetzliche Anordnung der gesamtschuldnerischen Mithaftung der Pflichtversicherung gemäß § 115 Abs. 1 S. 4 VVG, einen Fall des gesetzlichen Schuldbeitritts, ergänzt.
Rz. 1108
Der Begriff der unerlaubten Handlung im Sinne des § 840 Abs. 1 BGB ist weit zu verstehen. Nebeneinander verantwortlich im Sinne dieser Vorschrift können zunächst Personen sein, deren Haftung sich aus den §§ 823 bis 839a BGB ergibt. Erfasst wird neben der Verschuldenshaftung auch die Haftung aus vermutetem Verschulden nach §§ 831, 832, 833 Satz 2, 834–838 BGB, die Haftung nach Maßgabe der Billigkeit, § 829 BGB, oder aus Gefährdung nach § 833 Satz 1 BGB. Allgemein lässt sich diesen Bestimmungen entnehmen, dass grundsätzlich alle Mitverursacher, die kraft dieser Vorschriften auf Ersatz des Schadens haften, Gesamtschuldner sind. Dies gilt auch für solche Personen, die gemäß sonstiger Gesetzesvorschrift oder aus Gefährdungshaftung oder vermuteter Verschuldenshaftung einstandspflichtig sind (§§ 7, 18 StVG, §§ 1, 2 HPflG, § 33 LuftVG), wobei der Innenausgleich sich hierbei oftmals bereits aufgrund ausdrücklicher Regelungen ergibt (§§ 17, 18 Abs. 3 StVG, 13 HPflG, 41 LuftVG). Die von der Rechtsprechung für geboten erachtete weite Auslegung des Anwendungsbereichs des § 840 Abs. 1 BGB führt unter bestimmten Voraussetzungen sogar zur Einbeziehung von nachbarrechtlichen Ausgleichsansprüchen nach § 906 Abs. 2 BGB.
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