Rz. 980

Voraussetzung für die Anwendung der Amtshaftung nach § 839 Abs. 1 S. 1 BGB, Art. 34 GG ist im Falle der Verkehrssicherungspflicht, dass sie nach gesetzlichen Regelungen als öffentliche Aufgabe hoheitlich zu erfüllen ist. In diesem Sinn sind durch sämtliche Landesstraßengesetze die aus der Straßenbaulast erwachsenden Verkehrssicherungspflichten als hoheitliche Aufgaben ausgestaltet (z.B. § 9a Abs. 1 StrWG NRW), mit Ausnahme von Hessen. Ähnlich gleichlaufend stellen sämtliche Landesstraßengesetze die Erfüllung von Straßenverkehrssicherungspflichten unter den – Verkehrssicherungspflichten stets immanenten – ausdrücklichen Vorbehalt der Zumutbarkeit ihrer Erfüllung. Zu beachten ist jedoch, dass sich die Formulierungen der verschiedenen Landesstraßengesetze zu den Verkehrssicherungspflichten durchaus voneinander unterscheiden. Dies gilt es zu berücksichtigen, wenn Verkehrssicherungspflichtverletzungen Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen sind. So hat etwa der BGH im Jahr 2012 für das Land Berlin entschieden,[3016] dass ein erkennbar maroder Fußgängerüberweg zwar "vor sich selbst warnt", dennoch im Ergebnis eine Haftung des Landes Berlin besteht. Aufgrund des sehr schlechten Zustandes des Weges genüge er entgegen § 7 Abs. 2 S. 2, 3 BerlStrG nicht dem "regelmäßigen Verkehrsbedürfnis" und trage nicht den Belangen der im Straßenverkehr besonders gefährdeten Personen wie von Menschen mit Behinderung Rechnung, zudem sei gegen die Pflicht zur alsbaldigen Wiederherstellung des verkehrssicheren Zustands der Straße (§ 7 Abs. 2 S. 5 BerlStrG) verstoßen worden. Aufgrund dessen erkannte der BGH trotz deutlicher Erkennbarkeit des Zustands des Fußgängerüberwegs auf das Vorliegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung.

 

Rz. 981

Die Entscheidung des BGH beruht auf der besonderen Ausgestaltung des Berliner Straßengesetzes, ist daher nicht auf andere Bundesländer übertragbar und stellt lediglich eine Einzelfallentscheidung dar. Einige Obergerichte in anderen Bundesländern haben daher zu der Entscheidung des BGH darauf hingewiesen, dass – anders als im Land Berlin – in den jeweiligen Landesstraßengesetzen der Umfang der ­Verkehrssicherungspflicht nicht erweitert sei.[3017] Die Räum- und Streupflicht bei winterlichen ­Verhältnissen ist nach Landesrecht primär den Gemeinden als öffentlich-rechtliche Amtspflicht auferlegt. Die Pflicht des Winterdienstes bleibt ihrem Wesen nach jedoch allgemeine Verkehrssicherungspflicht, die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB ist deshalb nicht anwendbar.[3018] Es gilt aber die Zurechnungsnorm des Art. 34 S. 1 GG, der die persönliche Haftung des Beamten auf den Staat überleitet. Art und Umfang der Räum- und Streupflichten sowie der allgemeinen Reinigungspflichten richten sich nach den landesgesetzlichen Bestimmungen und allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätzen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Landesgesetze Bezug genommen (vgl. etwa: § 41 StrG BW; § 7 StrG Berlin; § 9 StrWG NRW). In Nordrhein-Westfalen gilt zudem das Gesetz über die Reinigung öffentlicher Straßen (StrReinG NW), das § 9 StrWG NRW ergänzt. Am Beispiel Nordrhein-Westfalen stellt sich die Regelung der Räum- und Streupflichten sowie der allgemeinen Reinigungspflichten demnach wie folgt dar:

 

Rz. 982

 

§ 9 StrWG NRW: Straßenbaulast

(1) Die Straßenbaulast umfasst alle mit dem Bau und der Unterhaltung zusammenhängenden Aufgaben. Die Träger der Straßenbaulast haben nach ihrer Leistungsfähigkeit die Straßen in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand zu bauen, um- und auszubauen, zu erweitern oder sonst zu verbessern sowie zu unterhalten. Soweit sie hierzu unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit außerstande sind, haben sie auf den nicht verkehrssicheren Zustand vorbehaltlich anderweitiger Anordnungen der Straßenverkehrsbehörden durch Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen hinzuweisen.

(2) Beim Bau und bei der Unterhaltung der Straßen sind die allgemein anerkannten Regeln der Technik, die Belange des Umweltschutzes, des Städtebaus, des öffentlichen Personennahverkehrs, der im Straßenverkehr besonders gefährdeten Personengruppen sowie des Rad- und Fußgängerverkehrs angemessen zu berücksichtigen. Die Belange von Menschen mit Behinderung und anderer Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigung sind mit dem Ziel zu berücksichtigen, möglichst weitgehende Barrierefreiheit zu erreichen.

(3) Die Träger der Straßenbaulast sollen nach besten Kräften über die ihnen nach Abs. 1 obliegenden Aufgaben hinaus bei Schnee und Eisglätte räumen und streuen. Die Vorschriften des Gesetzes über die Reinigung öffentlicher Straßen bleiben unberührt.

 

§ 1 StrReinG NRW

(1) Die öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslagen sind von den Gemeinden zu reinigen, Bundesstraßen, Landesstraßen, Radschnellverbindungen des Landes und Kreisstraßen jedoch nur, soweit es sich um Ortsdurchfahrten handelt. Die Gemeinden können diese Aufgabe einer nach § 114a der Gemeindeordnung durch sie errichteten Anstalt des öffentlichen Rec...

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