Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 780
Gemäß § 833 S. 2 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. Hierfür ist erforderlich, dass sich im Schadensereignis die spezifische Tiergefahr verwirklicht hat. Diese Vorschrift regelt – abweichend von § 833 S. 1 BGB (reine Gefährdungshaftung) – für die Halter von Haus- und Nutztieren eine Haftung für vermutetes Verschulden. § 833 S. 2 BGB enthält die doppelte Vermutung, dass der Tierhalter seine Sorgfaltspflicht nicht erfüllt hat und dass der vom Tier angerichtete Schaden darauf zurückzuführen ist. Es ist Sache – und im Gegensatz zu § 833 S. 1 BGB zugleich Privileg – des Haustierhalters, diese Vermutungen zu widerlegen und im einzelnen Fall die gesamten, in Betracht kommenden Umstände aufzuklären. Dieses Haftungsprivileg für Nutztierhalter ist trotz der seit seiner Einführung im Jahre 1908 eingetretenen gesellschaftlichen Veränderungen verfassungsgemäß; es verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und auch nicht gegen das Willkürverbot.
1. Haustiere
Rz. 781
Haustiere sind zahme Tiere, die von einer natürlichen oder juristischen Person in ihrer Hauswirtschaft zu ihrem Nutzen gezogen oder gehalten werden und dabei aufgrund von Erziehung und Gewöhnung der Beaufsichtigung und dem herrschenden Einfluss des Halters unterstehen.
Zu den Haustieren gehören z.B.:
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Esel, |
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Geflügel, |
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Hunde, |
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Katzen, |
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gezüchtete Kaninchen, |
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Maultiere, |
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Pferde, |
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Rinder, |
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Schafe, |
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Schweine und |
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Ziegen. |
Wilde und gezähmte Tiere sind keine Haustiere; ebenso nicht Bienen, Singvögel, Affen, Reptilien, die Pelztiere einer Farm, Meerschweinchen und Aquarienfische; auch Versuchstiere sind keine Haustiere. Entscheidend sind die inländische Verkehrsauffassung und das inländische Verständnis.
2. Nutztiere
Rz. 782
§ 833 S. 2 BGB betrifft nur Haustiere, die dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt sind, also Nutztiere. Darunter fallen einerseits Tiere, deren Haltung spezifisch mit der Berufstätigkeit des Halters zusammenhängt, sog. Berufstiere, z.B.
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Polizeihunde, |
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Jagdhunde eines Försters und |
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Hütehunde. |
An die Qualifikation als Wachhund stellt die Rechtsprechung strenge Anforderungen bezüglich Ausbildung und Eigenschaften, damit § 833 S. 1 BGB nicht unterlaufen wird. Andererseits meint die Vorschrift Tiere, die der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Halters zu dienen bestimmt sind, eigentliche Nutztiere. Diese Zweckbestimmung beschreibt die Grenze zum sog. Luxustier (§ 833 S. 1 BGB), das nur zum Vergnügen gehalten wird, wie Hunde oder Katzen in einer Stadtwohnung, oder dazu, nur sportlichen Zwecken nachzugehen, wie das zur Turnierteilnahme angeschaffte Pferd.
Rz. 783
Tiere, die der Erwerbstätigkeit dienen, werden in erster Linie in Betrieben der Land- und Forstwirtschaft gehalten, z.B. Arbeitstiere, Nutz- und Schlachttiere auf einem Bauernhof. Bei bestimmten Tieren wie Kühen und Hühnern ergibt sich die Nutztiereigenschaft bereits aus der Natur der Tiere. Ob bei einem Haustier eine derart umfangreiche wirtschaftliche Nutzung vorliegt, die es zum Nutztier gemäß § 833 S. 2 BGB werden lässt, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen.
Rz. 784
Schwierigkeiten bereiten oft sog. potenziell doppelfunktionale Tiere wie Hunde oder Pferde. Bei diesen kommt es darauf an, welchem Zweck die Tiere objektiv dienstbar gemacht werden und konkludent gewidmet sind. Hat das Tier verschiedene Funktionen, von denen einige dem Erwerbsstreben, andere aber der Freizeitgestaltung zuzurechnen sind, ist für die Beurteilung auf die allgemeine Widmung des Tieres, vor allem auf seine hauptsächliche Zweckbestimmung abzustellen. Von einem Idealverein gehaltene Reitpferde, die den sportlichen Zwecken der Mitglieder zu dienen bestimmt sind, zählen nicht zu den Nutztieren, das gilt auch für satzungsgemäß zwecks Re...