Rz. 258

Nicht jeder Nachlass lohnt den finanziellen Aufwand einer Nachlassverwaltung oder eines Nachlassinsolvenzverfahrens. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten verzichtet deshalb das Gesetz in den Fällen, in denen keine die Kosten deckende Masse vorhanden ist, auf eine Gütersonderung und lässt dem Erben den Vorteil der beschränkten Haftung trotzdem – auch wenn keines der zwei Nachlassverfahren durchgeführt wird – durch eine einfache Einrede zukommen. Die Einrede kann entweder außergerichtlich oder im Prozess erhoben werden.

 

Rz. 259

Zwei Arten der Dürftigkeit sind zu unterscheiden:

die Dürftigkeit kraft Tatbestandswirkung,
die tatsächliche Dürftigkeit.

a) Voraussetzungen der Dürftigkeit kraft Tatbestandswirkung

 

Rz. 260

Wurde die Anordnung der Nachlassverwaltung mangels Masse abgelehnt (§ 1982 BGB) oder der Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen (§ 26 InsO), so ist mit den entsprechenden Gerichtsbeschlüssen der Nachweis der Dürftigkeit geführt. Dasselbe gilt, wenn die Verfahren mangels Masse eingestellt wurden (§ 1988 Abs. 2, § 207 InsO). Ein weiterer Nachweis der Dürftigkeit braucht nicht geführt zu werden. Das Prozessgericht ist an diese Feststellungen des Nachlassgerichts bzw. des Insolvenzgerichts gebunden.[232]

 

Rz. 261

Jetzt kann der Nachlassgläubiger (Kläger) nicht mehr Zahlung verlangen, sondern Duldung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass (= Klageänderung, § 263 ZPO).

 

Rz. 262

Deshalb sollte der Nachlassgläubiger den Zahlungsantrag im Wege der Klageänderung umstellen auf einen Duldungsantrag:

 

Rz. 263

 

Formulierungsbeispiel: Duldungsantrag bei Dürftigkeitseinrede

Der Beklagte wird verurteilt, wegen der Klagforderung die Zwangsvollstreckung in den Nachlass des am (...) verstorbenen (...) zu dulden.

 

Rz. 264

Für den Fall, dass nicht sicher ist, ob die Dürftigkeit des Nachlasses nachgewiesen ist, ist zu empfehlen, den Antrag auf Duldung der Zwangsvollstreckung als Hilfsantrag zu stellen.

[232] BGH NJW-RR 1989, 1227; BayObLG NJW-RR 2000, 306; OLG Rostock ErbR 2000, 99; Palandt/Weidlich, § 1990 Rn 2.

b) Voraussetzungen der tatsächlichen Dürftigkeit

 

Rz. 265

Für die Beurteilung der tatsächlichen Dürftigkeit kommt es nicht auf den Zeitpunkt des Erbfalls oder der Erhebung der Einrede an, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Einrede, im Prozess also die letzte mündliche Tatsachenverhandlung.[233]

Den Beweis der Dürftigkeit hat der Erbe zu führen.[234] Für den Nachweis der Dürftigkeit muss der Erbe nicht zwingend eine Ablehnung seiner Verfahrensanträge gemäß § 1982 BGB, § 26 InsO herbeiführen, sondern kann auch auf sonstige Weise darlegen (durch Inventarerrichtung, § 2009 BGB, durch Auskunft und eidesstattliche Versicherung, § 260 BGB, oder Vermögensauskunft, § 802c ZPO), dass es an einer kostendeckenden Masse fehlt.[235]

[233] BGHZ 85, 274; BGH ZEV 2011, 189; KG NJW-RR 2003, 941; MüKo/Küpper, § 1990 Rn 4; Palandt/Weidlich, § 1990 Rn 2; a.A. Staudinger/Dobler, § 1990 Rn 7.
[234] BayObLG NJW-RR 2000; 306; KG NJW-RR 2003, 941; OLG Koblenz NJW-RR 2006, 377.
[235] RGZ 74, 375; OLG Düsseldorf ZEV 2000, 155; KG NJW-RR 2003, 941; LG Neuruppin ZInsO 2004, 1090; Staudinger/Dobler, § 1990 Rn 6; MüKo/Küpper, § 1990 Rn 3.

c) Geltendmachung der Dürftigkeit

aa) Darlegungs- und Beweislast des Erben

 

Rz. 266

Wird der Erbe verklagt, so muss er sich in den Urteilstenor einen Haftungsbeschränkungsvorbehalt nach § 780 ZPO aufnehmen lassen. Der Erbe hat darzulegen und erforderlichenfalls auch zu beweisen, dass der Nachlass unzulänglich ("dürftig") ist. Das Gericht trifft dann eine entsprechende Aufklärungspflicht.

Dazu der BGH[236] im Falle der Geltendmachung der Dürftigkeit des Nachlasses gegenüber einem Pflichtteilsergänzungsanspruch:

Zitat

"Hat der Erbe gegenüber dem Pflichtteilsergänzungsanspruch die Einrede der Unzulänglichkeit des Nachlasses (§ 1990 BGB) erhoben, so muss das Prozessgericht entweder die Frage des Haftungsumfangs sachlich aufklären und darüber entscheiden oder den Vorbehalt der Haftungsbeschränkung gem. § 780 I ZPO aussprechen (Bestätigung von BGH NJW 1983, 2378)."

Sind die einzelnen Nachlassgegenstände bekannt, so können sie bei Nachweis der Dürftigkeit des Nachlasses bereits in das Urteil aufgenommen werden in der Weise, dass das Gericht die einzelnen Nachlassgegenstände – in einer Anlage zum Urteil – aufzählt, in die der Erbe (Beklagte) die Zwangsvollstreckung zu dulden hat. Damit wird ein späterer Rechtsstreit (Vollstreckungsgegenklage) vermieden, wenn der Nachlassgläubiger trotzdem in Vermögensgegenstände des Eigenvermögens des Erben vollstrecken sollte.

Oder vom BayObLG anders ausgedrückt:[237]

Zitat

"Sind die Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung bereits im Erkenntnisverfahren bejaht worden, ist nur zur Leistung aus dem Nachlass zu verpflichten. Gegen die Vollstreckung in nachlassfremde Gegenstände können sich die Erben dann auf dem einfacheren Wege des § 766 ZPO zur Wehr setzen."

Prozessual verhindert der Erbe die Einzelvollstreckung eines Nachlassgläubigers in sein Eigenvermögen in entsprechender Anwendung von § 784 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 785, 767 ZPO, sofern er den Haftungsbeschränkungsvorbehalt in den Tenor des Ersturteils hat aufnehmen lassen.

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