Rz. 93
Erbt die Erbengemeinschaft ein Mietshaus, regt sich bei einzelnen Erben oft der Wunsch eine dieser Wohnungen nun für sich zu nutzen. Da liegt die Frage nach den Möglichkeiten einer Eigenbedarfskündigung für die Erbengemeinschaft nicht fern.
Eine ordentliche Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses mit der Begründung bestehenden Eigenbedarfs ist nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB möglich, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörige oder Angehörige seines Haushalts benötigt.
Der rechtliche Berater wird demnach oft mit der Frage konfrontiert, ob nun ein Mitglied einer Erbengemeinschaft auf dem Weg des Eigenbedarfs in eine Wohnung eines ererbten Mietshauses einziehen kann. Um diese Frage zu beantworten ist zu berücksichtigen, dass die Erbengemeinschaft eine Gesamthandgemeinschaft darstellt, ohne eigene Rechtspersönlichkeit nach § 2032 BGB.
Rz. 94
Juristische Personen, wie die GmbH oder die AG, oder auch Vereine besitzen kein Kündigungsrecht nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, denn die Räumlichkeiten können von einer juristischen Person nicht als "Wohnung" genutzt werden.
Bis zum 31.12.2023 galt dasselbe für die Personengesellschaften der OHG und KG. Nach der Rechtsprechung des BGH kam eine Kündigung zugunsten eines Gesellschafters nicht in Frage, weil die Gründung einer KG oder OHG regelmäßig eine umfangreiche organisatorische und rechtsgeschäftliche Tätigkeit bis hin zur Eintragung in das Handelsregister voraussetzte. Die Vermietung einer Wohnung beruhe regelmäßig "auf einer bewussten Entscheidung aufgrund wirtschaftlicher, steuerrechtlicher und/oder haftungsrechtlicher Überlegungen". Die GbR (bzw. einzelne Gesellschafter) sollte nach der Rechtsprechung des BGH hingegen die Möglichkeit besitzen, Eigenbedarf geltend machen zu können, wenn die Gesellschafter schon bei Abschluss des Mietvertrags bekannt waren. Diese Rechtsprechung wurde vom BGH weiterentwickelt. Eine Kündigung wegen des Bedarfs der BGB-Gesellschaft ist – wie bei der OHG und KG – ausgeschlossen. Möglich war jedoch eine Kündigung wegen Eigenbedarfs in analoger Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Der BGH verwies zur Begründung auf seine Entscheidung vom 29.1.2001. Bis zu dieser Entscheidung wurde die GbR als normale Vermietermehrheit (ohne eigene Rechtspersönlichkeit) behandelt, bei der jedes Mitglied der BGB-Gesellschaft zur Kündigung berechtigt gewesen ist. Mit der Entscheidung im Jahre 2001 wurde die eigene Rechtspersönlichkeit der am Rechtsverkehr teilnehmenden (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts anerkannt. Damit nahm die Gesellschaft als Vermieter am Rechtsverkehr teil und nicht mehr die einzelnen Gesellschafter. Dadurch ist eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Lücke entstanden – eine unmittelbare Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB durch die einzelnen Gesellschafter war nicht mehr möglich – sodass eine entsprechende Anwendung geboten war. Demnach konnte eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine Eigenbedarfskündigung aussprechen, sofern ein Gesellschafter oder dessen Angehörige einen zur Eigenbedarfskündigung berechtigenden Nutzungswillen hatten. Bei einer Mehrheit von Vermietern reichte es jedoch aus, wenn der Eigenbedarf nur für einen Vermieter besteht.
Rz. 95
Zum 1.1.2024 ist das Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz (MoPeG) in Kraft getreten. Dieses gestaltet die GbR neu aus. Es werden für die Teilnahme am Rechtsverkehr als Regelfall eine rechtsfähige (Außen-)GbR, die eigene Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen kann, sowie eine nicht rechtsfähige (Innen-)GbR gemäß § 705 Abs. 1 BGB geschaffen. Die rechtsfähige GbR erhält die Möglichkeit, sich im Gesellschaftsregister eintragen zu lassen (bei Eintragung im Grundbuch ist die Eintragung sogar verpflichtend) und wird so den Personengesellschaften angeglichen. Somit stellt sich die Frage bei der GbR, ob die von der Rechtsprechung des BGH angenommenen Voraussetzungen für eine Analogie bei der Eigenbedarfskündigung gemäß § 573 Abs. 2 Ziffer 2 BGB noch vorliegen, zumal der Gesetzgeber dies – wenn er gewollt hätte – ausdrücklich hätte regeln können. Eine analoge Anwendung des Gesetzes dürfte daher nicht mehr möglich sein, so dass ab dem 1.1.2024 für die GbR eine Eigenbedarfskündigung der Gesellschaft als auch für einen Gesellschafter nicht mehr möglich ist. Letztendlich wird die Rechtsfrage des Eigenbedarfs höchstrichterlich zu klären sein. Für die Personengesellschaften (KG, OHG) hat sich durch die Geltung des MoPeG nichts geändert. Personengesellschaften und deren Gesellschafter können keinen Wohnbedarf wirksam gelten machen.
Rz. 96
Für die Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft bedeutet dies im Ergebnis, dass bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB für ein Mitglied oder mehrere Mitglieder der Erbengemeinschaft eine Eigenbedarfskündigung weiterhin erfolgreich durchgeführt werden kann und sich nichts geändert hat.
Die notwendigen Formalia und allgemeinen Grundsätze sind zu beachte...