Rz. 75

Keine Testamentsvollstreckung gleicht der anderen – und es kommt immer anders als man denkt. Auf diesen kurzen Nenner lassen sich die bei einer Testamentsvollstreckung typischerweise auftretenden Probleme bringen. Die Gründe hierfür liegen oft schon im Handeln des Erblassers begründet. Sie geben sich teilweise unendliche Mühe bei der Einzelzuweisung vermögensmäßig relativ geringwertiger Einzelgegenstände. Bei Regelungen mit großen wirtschaftlichen Auswirkungen hingegen agieren sie vergleichsweise nachlässig. Bei der Frage nach der Ursache für dieses Phänomen trifft man auf den Begriff der Erschöpfung des Erblassers. Möglicherweise spielt aber auch die Erschöpfung des Beraters eine Rolle.[44] Von einem Testamentsvollstrecker ist daher die Fähigkeit gefragt, den fehlenden Blick des Erblassers (und möglicherweise seines Beraters) für die Gesamtzusammenhänge zu erkennen und gegebenenfalls mit Unterstützung von Netzwerkpartnern auftretende Probleme zu lösen.

 

Rz. 76

Im vorliegenden Fall wird der Testamentsvollstrecker immer wieder nachjustieren müssen. Wegen des "diskreten" Auslandsvermögens wird er berichtigte Einkommensteuererklärungen nach § 153 AO einreichen. Werden die Erben mit Steuernachforderungen auf die Steuerschuld von Graf Koks belastet, so stellen diese Steuerschulden Nachlassverbindlichkeiten dar. Dadurch verringert sich der Aktivnachlass, folglich zugleich reduziert sich die Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer, die vom Testamentsvollstrecker geltend zu machenden Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche bezüglich der Immobilien-GbR führen hingegen zu einer Erhöhung der Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer. Da Emil Steiner als zusätzlicher Erbe in Erscheinung getreten ist, erstreckt sich die Aufgabe des Testamentsvollstreckers zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärungen nunmehr auch auf den ihm bislang gänzlich unbekannten Erben.

Das unbeschränkt erteilte Testamentsvollstreckerzeugnis ist unrichtig; Gleiches würde im Übrigen für einen ggf. erteilten Erbschein[45] gelten, der einzuziehen wäre.

[44] Rott, ErbR 2022, 361.
[45] Ein besonnen agierender Testamentsvollstrecker wird aus Kostengründen im vorliegenden Fall keinen Erbschein beantragt haben. Das notarielle Testament wird – jedenfalls in Verbindung mit dem Eröffnungsprotokoll des Nachlassgerichts – für eine Legitimation gegenüber den Bankinstituten und den Mietern ausgereicht haben. Für die Umschreibung des deutschen Immobilienvermögens und die Eintragung des Testamentsvollstreckervermerks im Grundbuch reichen diese Unterlagen ebenfalls regelmäßig aus.

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