Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 74
Die Rechtskraft des im Abmahnungsprozess ergangenen Urteils richtet sich gem. § 322 Abs. 1 ZPO zunächst nach dem Streitgegenstand, der durch die gestellten Anträge und den der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt definiert wird. Gem. § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO ist das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was sie nicht beantragt hat. Hatte der Arbeitnehmer die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte beantragt und erweist sich diese wegen teilweise unzutreffender Vorwürfe insgesamt als unwirksam, muss das Gericht dem Klageantrag entsprechen. Es darf jedenfalls nicht im Urteilstenor dem Arbeitgeber die Berechtigung zuerkennen, den Arbeitnehmer erneut beschränkt auf einen bestimmten Vorwurf abzumahnen (BAG v. 14.12.1994 – 5 AZR 696/93, NZA 1995, 461 = NJW 1995, 1373).
Rz. 75
I.Ü. beschränkt sich die gerichtliche Prüfung auf
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die Richtigkeit der in der Abmahnung aufgestellten Tatsachenbehauptung und |
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die Pflichtwidrigkeit des gerügten Verhaltens. |
Rz. 76
Der Abmahnungsprozess hat keine präjudizielle Bedeutung im Hinblick auf die Wirksamkeit einer späteren Kündigung. Wird die auf Entfernung der beanstandeten Abmahnung gerichtete Klage des Arbeitnehmers abgewiesen, steht keineswegs mit gerichtlicher Autorität fest, der Arbeitgeber dürfe bei Wiederholung eines gleichartigen Pflichtenverstoßes kündigen. Bei einer Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ist nämlich i.d.R. zusätzlich zu prüfen, ob der Arbeitnehmer schuldhaft gehandelt hat. Ob das abgemahnte Fehlverhalten als Grundlage für eine Kündigung im Wiederholungsfall ausreicht, kann erst im Rechtsstreit über die Kündigung und nicht schon vorher abschließend beurteilt werden (BAG v. 10.11.1993 – 7 AZR 682/92, NZA 1994, 500 = BB 1994, 1290; BAG v. 7.9.1988 – 5 AZR 625/87, NZA 1989, 272 = DB 1989, 284).
Rz. 77
Hinweis
Die kündigungsrechtliche Bedeutung eines Abmahnungsprozesses beschränkt sich auf die objektive Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung oder auf die strittige Frage, ob eine Vertragsverletzung vorliegt. Im Kündigungsschutzprozess sind zusätzlich weitere Voraussetzungen auch im Hinblick auf das abgemahnte Verhalten zu prüfen. Der Arbeitgeber kann auch bei Abweisung der Entfernungsklage nicht sicher sein, die Hürde einer vorherigen Abmahnung als Vorstufe einer Kündigung überwunden zu haben.
Rz. 78
Umgekehrt ist auch nicht sichergestellt, dass der Arbeitnehmer der Kündigung des Arbeitgebers entgegenhalten kann, es fehle an einer vorherigen Abmahnung, weil der Arbeitgeber im Vorprozess zur Entfernung der Abmahnung verurteilt worden sei. Dies trifft nur dann zu, sofern das Gericht ausgesprochen hat, dass die Abmahnung materiell-rechtlich nicht gerechtfertigt war. Etwas anderes gilt bei formellen Mängeln der Abmahnung. Eine formell fehlerhafte und daher unwirksame und zu entfernende Abmahnung entfaltet trotzdem die vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung zu fordernde Warnfunktion (BAG v. 28.6.2018 – 2 AZR 436/17, juris Rn 48; BAG v. 19.2.2009 – 2 AZR 603/07, NZA 2009, 894 = DB 2009, 1822; BAG v. 21.5.1992 – 2 AZR 551/91, NZA 1992, 1028 = DB 1992, 2143).
Rz. 79
Häufig endet der Abmahnungsprozess mit einem Prozessvergleich des Inhaltes, dass die Abmahnung nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes aus der Personalakte zu entfernen ist. Mangels ausdrücklicher Erklärung des Arbeitnehmers ist hierin keine Anerkennung der Begründetheit der Abmahnung zu erblicken, sodass das der Abmahnung zugrunde liegende Fehlverhalten noch in einem nachfolgenden Kündigungsrechtsstreit bestritten werden kann (LAG Hamm v. 5.2.1990 – 2 Sa 1487/89, NZA 1990, 540 = DB 1990, 691). Aus diesem Grund ist dem Arbeitgeber anzuraten, in den Vergleich ausdrücklich aufnehmen zu lassen, dass der Arbeitnehmer die Abmahnung als begründet anerkennt.