Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 174
Mitbestimmte Arbeitsordnungen basieren auf § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Danach hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Von diesem Mitbestimmungstatbestand erfasst wird nach der Rspr. des BAG die gesamte Gestaltung des Zusammenlebens der Arbeitnehmer im Betrieb (BAG v. 24.3.1981 – 1 ABR 32/78). Dieser praktisch wichtige Mitbestimmungstatbestand erfasst nicht nur die Normierung der entsprechenden Verhaltensregeln für die Arbeitnehmer, sondern auch deren Vollzug (Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn 176). Es geht hierbei regelmäßig um verbindliche Regeln des Ordnungsverhaltens der Arbeitnehmer, nicht jedoch des sog. Arbeitsverhaltens der Arbeitnehmer (BAG v. 10.3.2009 – 1 ABR 87/07). Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG setzt allerdings nicht notwendig voraus, dass es sich um verbindliche Verhaltensregeln handelt. Es greift ausnahmsweise auch dann ein, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die das Verhalten der Arbeitnehmer in Bezug auf die betriebliche Ordnung betreffen, ohne dass sie verbindliche Vorgaben zum Inhalt haben. Ausreichend ist es, wenn die Maßnahme darauf gerichtet ist, das Verhalten der Arbeitnehmer zu steuern oder die Ordnung des Betriebes zu gewährleisten (BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07; BAG v. 18.4.2000 – 1 ABR 22/99).
Rz. 175
Überhaupt kein Mitbestimmungsrecht besteht im Hinblick auf das außerdienstliche Verhalten der Arbeitnehmer, das auch dem Direktionsrecht des Arbeitgebers nicht zugänglich ist. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG berechtigt also die Betriebsparteien nicht, in die private Lebensführung der Arbeitnehmer einzugreifen (BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 32/01). Nach der zutreffenden Rspr. des BAG ist der Begriff des Betriebes allerdings nicht räumlich, sondern funktional zu verstehen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates soll immer dann ausgeübt werden können, wenn der Arbeitgeber das mit ihrer Tätigkeit verbundene Verhalten der Arbeitnehmer regelt (BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07). Der Bereich der Mitbestimmung bleibt damit eröffnet, wenn das Verhalten im Betrieb geregelt werden soll, auch soweit es privat motiviert ist, wie z.B. bei Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz (so ausdrücklich BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07). Liegt ein individualrechtlich unzulässiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer vor, schließt dies nach der Rspr. des BAG die Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 BetrVG deshalb noch nicht aus. Ein generelles Verbot von Liebesbeziehungen im Betrieb ist allerdings auch durch eine Betriebsvereinbarung nicht durchzusetzen, da darin ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer liegt. Dies bedeutet aber, so das BAG in der Honeywell-Entscheidung, nicht, dass Regelungen über private Beziehungen im Betrieb von vornherein der Mitbestimmung entzogen wären. Danach ist es Aufgabe des Betriebsrates, darauf zu achten, dass durch die Regelung die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer nicht verletzt werden (vgl. BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07).
Rz. 176
Das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten umfasst u.a. Regelungen über das Betreten und das Verlassen des Betriebes (BAG v. 21.8.1990 – 1 AZR 567/89), über biometrische Zugangskontrollen (BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03), über die private Nutzung von Telefon und Internet (LAG Hamm v. 7.4.2006 – 10 TaBV 1/06), allgemeine Rauch- und Alkohol sowie Essensverbote (BAG v. 13.2.1990 – 1 ABR 11/89; BAG v. 23.9.1986 – 1 AZR 83/85; LAG Berlin-Brandenburg v. 12.7.2016 – 7 TaBVGa 520/16) sowie über die Festlegung der Nutzungsbedingungen von vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Parkflächen (BAG v. 7.2.2012 – 1 ABR 63/10). Die im Zuge der Covid19-Pandemie teils eingeführten Coronatests können nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig sein, wenn sie verpflichtend ausgestaltet werden und eine Zugangskontrolle zum Arbeitsplatz darstellen (Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn 186c).
Rz. 177
Mitbestimmungsfrei ist die Entscheidung des Arbeitgebers, ob betriebliche Arbeitsmittel überhaupt privat genutzt werden dürfen. Dies betrifft insb. die Zulässigkeit der privaten Nutzung des dienstlichen Telefons sowie dienstlicher Internetanschlüsse (LAG Hamm v. 7.4.2006 – 10 TaBV 1/06). Mitbestimmungspflichtig ist hingegen die Entscheidung der Frage, ob die Arbeitnehmer während der Arbeitszeit private Telefonate über ihre eigenen Mobiltelefone führen oder ob sie während der Arbeitszeit Radio mit eigenen Empfängern nutzen dürfen (BAG v. 14.1.1986 – 1 ABR 75/83; ArbG München v. 18.11.2015 – 9 BVGa 52/15).
Rz. 178
Soll mit einer betriebs- oder unternehmensweiten Regelung sowohl das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer als auch deren Arbeitsverhalten reguliert werden, handelt es sich um eine z.T. mitbestimmungspflichtige Regelung, z.B. in der Honeywell-Entscheidung des BAG (v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07).