Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 30
Das Erfordernis einer Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung leitet sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ab. Der Gläubiger soll beim Fehlverhalten des Schuldners diesem grds. durch eine Abmahnung Gelegenheit geben, sein Verhalten zu ändern. Entsprechende Rechtsgedanken finden sich auch in den §§ 281, 314 Abs. 2, 323 Abs. 3, 541, 543 Abs. 3 sowie 651e Abs. 2 BGB. Der Arbeitgeber darf nach dem ultima-ratio-Prinzip erst dann zum äußersten Mittel der Kündigung greifen, wenn er dem Arbeitnehmer zuvor eine Chance gegeben hat, zum vertragstreuen Verhalten zurückzukehren (vgl. BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 302/16, juris; BAG 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, juris). Mit dem Erfordernis einer Abmahnung vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung soll der mögliche Einwand des Arbeitnehmers ausgeräumt werden, er habe nicht gewusst oder nicht damit rechnen müssen, dass der Arbeitgeber sein Verhalten als pflichtwidrig ansehe und deswegen zu kündigungsrechtlichen Konsequenzen greifen werde (BAG v. 18.11.1986 – 7 AZR 674/84, NZA 1987, 418 = DB 1987, 1303). Beruht die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass dessen künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG v. 25.10.2012 – 2 AZR 495/11, juris; BAG v. 19.4.2012 – 2 AZR 186/11, juris) Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, so kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Insofern dient die Abmahnung der Objektivierung der für eine verhaltensbedingte Kündigung erforderlichen negativen Prognose (BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 = DB 2010, 2395; BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980 = FA 2006, 318).
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt in der Regel auch von einem Arbeitnehmer, vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, den pflichtwidrig handelnden Arbeitgeber abzumahnen (BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 394/00, juris – außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers wegen verspäteter Vergütungszahlung).
aa) Warnfunktion der Abmahnung
Rz. 31
Die Abmahnung kann ihre kündigungsrechtliche Warnfunktion nur erfüllen, wenn die Rüge eines ganz bestimmten Fehlverhaltens mit dem Hinweis auf Konsequenzen verbunden wird. Unzulänglich ist der immer wieder in Abmahnungsschreiben auftauchende allgemeine Hinweis auf arbeitsrechtliche Konsequenzen. Welche Folgen gemeint, nämlich eine andernfalls drohende Kündigung, eine Versetzung, Widerruf oder Kürzung einer Zulage, sollte klar ausgesprochen werden. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber den Begriff "Abmahnung" ausdrücklich verwendet. Zu den unverzichtbaren Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Abmahnung gehört neben der Rüge eines genau zu bezeichnenden Fehlverhaltens der Hinweis auf die im Wiederholungsfall drohende Bestands- oder Inhaltsgefährdung des Arbeitsverhältnisses (BAG v. 14.9.1984 – 7 AZR 589/82, n.v.). Allerdings ist es nicht erforderlich, ganz bestimmte kündigungsrechtliche Maßnahmen, also z.B. eine Änderungskündigung, eine fristgerechte oder fristlose Kündigung in Aussicht zu stellen, sondern es genügt die Androhung, dass bei wiederholten Verhaltensmängeln der gerügten Art der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet sei.
Rz. 32
Hinweis
Als Richtschnur für die Warnfunktion der Abmahnung gilt: Die Formulierung der Konsequenzen muss so klar und unmissverständlich sein, dass der Einwand des Arbeitnehmers entkräftet wird, er habe mit einer Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nicht gerechnet.
bb) Gleichartigkeit der Pflichtverletzung
Rz. 33
Eine Abmahnung erfüllt ihre Rüge- und Warnfunktion als Voraussetzung einer Kündigung nur dann, wenn es sich um ein Fehlverhalten im Wiederholungsfall handelt. Dies bedeutet aber nicht, dass eine auf Störungen im Leistungsbereich gestützte Kündigung automatisch sozial gerechtfertigt gem. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG oder als außerordentliche Kündigung gem. § 626 BGB wirksam ist, wenn der Arbeitnehmer ein zuvor abgemahntes Fehlverhalten erneut begeht. Mit der erteilten Abmahnung ist nur eine wichtige Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Kündigung erfüllt. Daneben können die Bedeutung und Schwere des Pflichtenverstoßes, die dadurch beeinträchtigten betrieblichen Interessen und damit allgemein die anzustellende Interessenabwägung ausschlaggebend sein. Das zur Kündigung führende und das zuvor abgemahnte Verhalten müssen nicht identisch, aber gleichartig sein.
Rz. 34
Abmahnungssachverhalt und Kündigungssachverhalt müssen zumindest auf der gleichen Ebene liegen. Die Pflichtwidrigkeiten müssen aus demselben Bereich stammen, d.h. Abmahnung und Kündigungsgründe müssen in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589 = NJW 2008, 1900). In einem Urteil des BAG aus dem Jahr 1985 (BAG v. 27.2.1985 – 7 AZR 525/83, RzK I 1 Nr. 5). war ein Arbeitnehmer dreimal abgemahnt worden, weil er an einer di...