Dr. iur. Olaf Lampke, Manfred Ehlers
Rz. 426
Das SGB IX verpflichtet den beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber, seinen Betrieb so zu gestalten, dass schwerbehinderte Menschen darin auch tatsächlich arbeiten können. Dies gilt sowohl für die räumliche Gestaltung der Betriebsräume als auch für die Gestaltung der Organisation. Praktisch gehören dazu Behindertenparkplätze, Rollstuhlfahrerrampen sowie entsprechende sanitäre Einrichtungen. Die Arbeitgeber haben nämlich nach § 164 Abs. 3 SGB IX durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass in ihren Betrieben und Dienststellen wenigstens die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen eine möglichst dauerhafte behindertengerechte Beschäftigung finden kann.
Rz. 427
§ 164 Abs. 4 SGB IX gewährt den schwerbehinderten Menschen die den Pflichten des Arbeitgebers korrespondierenden Rechte. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer hat danach Anspruch auf Beschäftigung, bei der er seine Kenntnisse und Fähigkeiten verwerten und weiterentwickeln kann, § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX. Er hat aber keinen Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz oder darauf, nach seinen Wünschen und Neigungen beschäftigt zu werden. Kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer die ihm zugewiesenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen, so führt dieser Verlust nach der Konzeption der §§ 164 ff. SGB IX nicht ohne weiteres zum Wegfall des Beschäftigungsanspruchs. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer kann Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung haben und, soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit nicht abdeckt, auf eine entsprechende Vertragsänderung (BAG v. 10.5.2005 – 9 AZR 230/04; BAG v. 14.3.2006 – 9 AZR 411/05). Daraus kann sich ein Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf anderweitige, auch vertragsfremde, Beschäftigung ergeben, wenn er seine vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen seiner Behinderung nicht mehr ausüben kann (BAG v. 15.10.2013 – 1 ABR 25/12; BAG v. 3.12.2019 – 9 AZR 78/19). Um eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen, ist der Arbeitgeber nach § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 SGB IX auch zu einer Umorganisation verpflichtet. Dies umfasst die Beseitigung der verschiedenen Barrieren, die die volle und wirksame gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben behindern. Gemeint sind nicht nur materielle, sondern auch organisatorische Maßnahmen, wobei die Aufzählung der möglichen Vorkehrungen im 20. Erwägungsgrund der RL 2000/78/EG nicht abschließend ist. Die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen ergibt sich bei unionskonformer Auslegung des § 241 Abs. 2 BGB aus dieser Bestimmung. (LAG Berlin-Brandenburg v. 5.6.2014 – 26 Sa 427/14).
Betriebliche Gründe werden in der Regel der Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes nicht entgegenstehen, wenn ein entsprechender Arbeitsplatz frei ist und der Arbeitgeber Bedarf für die Tätigkeit hat. Ferner muss der Arbeitnehmer für die betreffenden Arbeiten fachlich und gesundheitlich geeignet sein (BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 162/09). Der Arbeitgeber ist jedoch dann nicht zur Beschäftigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers verpflichtet, wenn ihm diese Beschäftigung unzumutbar oder eine solche nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist, § 164 Abs. 4 S. 3 SGB IX (BAG v. 14.3.2006 – 9 AZR 411/05). Der Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten (BAG v. 10.5.2005 – 9 AZR 230/04; BAG v. 4.10.2005 – 9 AZR 632/04; BAG v. 14.3.2006 – 9 AZR 411/05).
In einem bestehenden Arbeitsverhältnis verdichten sich diese abstrakten Vorgaben gem. § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX zu einem individuellen, einklagbaren Anspruch: Schwerbehinderte Menschen können von ihrem Arbeitgeber bis zur Grenze der Zumutbarkeit die Durchführung des Arbeitsverhältnisses entsprechend ihrer körperlichen Einschränkungen verlangen. Individuell wird ein schwerbehinderter Arbeitnehmer während des laufenden Arbeitsverhältnisses durch den Beschäftigungsanspruch des § 164 SGB IX abgesichert, der neben einem Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung auch einen Anspruch auf behindertengerechte Ausgestaltung des Arbeitsplatzes, auf Versetzung auf einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz im Wege der Vertragsänderung (BAG v. 15.10.2013 – 1 ABR 25/12) oder auch Korrektur einer behinderungswidrigen Umorganisationsentscheidung beinhaltet (BAG v. 16.5.2019 – 6 AZR 329/18; BAG v.14.3.2006 – 9 AZR 411/05). Der schwerbehinderte Mensch kann zudem beanspruchen, in einem seiner Behinderung Rechnung tragenden zeitlichen Umfang eingesetzt zu werden, wenn die verlangte Beschäftigung dem Arbeitgeber zumutbar ist (BAG v. 17.3.2016 – 6 AZR 221/15; BAG v. 16.5.2019 – 6 AZR 329/18). § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX gibt dem schwerbehinderten Menschen allerdings keine Beschäftigungsgarantie. Der Arbeitgeber ist durch die gesetzliche Regelung nicht gehindert, eine Organisationsentscheidung zu treffen, die zum Entfall des Arbeitsplatzes eines schwerbehinderten Menschen führt. Die soziale Rechtfertigung einer b...