Dr. Hans-Patrick Schroeder, Dr. Marcus P. Lerch
Rz. 260
§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO enthält den sog. allgemeinen Staatsvorbehalt. Die dogmatische Struktur des Vorbehaltes des ordre public ist in den Einzelheiten umstritten. Differenziert wird u.a. zwischen nationalem und internationalem ordre public sowie zwischen verfahrensrechtlichem und materiell-rechtlichem ordre public. Zum verfahrensrechtlichen ordre public gehört insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör. Hingegen kann nicht allein die falsche Rechtsanwendung zur Aufhebung führen. Erforderlich ist vielmehr, dass die Umsetzung der Rechtsfolgenanordnung in dem Schiedsspruch zu einer nach den Wertungsmaßstäben des Inlandes unerträglichen Situation führt.
Rz. 261
Gegen die öffentliche Ordnung verstößt ein Schiedsspruch insb., wenn er zu einer verbotenen Handlung verurteilt. Gleiches gilt, wenn ein Schiedsspruch zu einer unmöglichen Leistung verurteilt. Die Höhe der in einem Schiedsspruch angeordneten Vertragsstrafe kann ebenso sittenwidrig sein und damit den ordre public verletzen.
Zum materiell-rechtlichen ordre public gehören auch die zentralen Normen des deutschen und europäischen Kartellrechts, darunter insbesondere das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gem. §§ 19, 20, 21 GWB und Art. 102 AEUV. Umstritten ist, welchen Kontrollumfang ein staatliches Gericht bei der Überprüfung von kartellrechtlichen Schiedssprüchen ausüben kann. Nach einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2022 verstößt ein Schiedsspruch bereits dann gegen den ordre public, wenn er auf einer fehlerhaften Anwendung von §§ 19–21 GWB beruht. Diese Verbote gehörten nach dem BGH zu den grundlegenden Normen des Kartellrechts, weshalb eine Beschränkung der gerichtlichen Prüfung auf offensichtliche Verstöße nicht in Betracht komme. Vielmehr gelte in diesen Fällen das Verbot der révision au fond nicht. Eine Entscheidung des EuGH zu dieser Problematik, mit der den Mitgliedstaaten ein einheitlicher Kontrollmaßstab vorgegeben werden könnte, steht noch aus.