Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 64
Dem Versorgungsausgleich ist die zweithöchste Rangstelle innerhalb des Kernbereichs des Scheidungsfolgenrechts eingeräumt. Eine evident einseitige, durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse und die Berücksichtigung der Belange der Ehegatten nicht gerechtfertigte Lastenverteilung ist nicht hinzunehmen.
Wesentliche Bedeutung kommt der Frage zu, welcher Ehegatte in welcher Höhe durch die Regelung Nachteile erlangt hat. Nachteilig ist die Regelung für den Ehegatten, der bei Durchführung des gesetzlichen VA besser stünde. Dafür ist der insgesamt Ausgleichsberechtigte – den es im neuen Recht an sich nicht gibt – zu ermitteln. In einer Gesamtbilanz ist der tatsächliche Wertunterschied nach unterstelltem Hin- und Her-Ausgleich darzustellen. Anzuknüpfen ist an die (korrespondierenden) Kapitalwerte.
Rz. 65
Ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs ist schon für sich genommen unwirksam (§ 138 BGB), wenn er dazu führt, dass ein Ehegatte aufgrund des bereits beim Vertragsschluss geplanten (oder zu diesem Zeitpunkt schon verwirklichten) Zuschnitts der Ehe über keine hinreichende Alterssicherung verfügt und dieses Ergebnis mit dem Gebot ehelicher Solidarität schlechthin unvereinbar erscheint.
Denn die Inhaltskontrolle ist keine Halbteilungskontrolle.
Rz. 66
Praxistipp:
▪ |
Wegen der Inhalts-/Ausübungskontrolle sollte regelmäßig eine Gegenleistung vereinbart werden, sofern auf den VA verzichtet wird. |
▪ |
Die Gegenleistung sollte zumindest mittelbar der Altersversorgung dienen. |
▪ |
Bei einer Gesamtbetrachtung muss die vereinbarte Gegenleistung ein reales wirtschaftliches Äquivalent sein. |
▪ |
Die Inhaltskontrolle ist keine Halbteilungskontrolle. |
Rz. 67
Als Gegenleistungen kommen in Betracht:
▪ |
Zahlung von – auch einmaligen – versorgungsgeeigneten Geldbeträgen und Kapitalabfindungen, |
▪ |
Zahlung erhöhter – gesicherter – Unterhaltsleistungen (gesichert durch Gehaltsabtretung, Bürgschaft oder dinglich), wenn zugleich auch für den Fall der Wiederverheiratung des Berechtigten (§ 1586 BGB) und den Tod des Ausgleichspflichtigen (§ 1586b BGB) Vorsorge getroffen worden ist, |
▪ |
Übernahme oder Entrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung, |
▪ |
Zusage einer versicherungspflichtigen Anstellung – auch mit Verzicht auf ein ordentliches Kündigungsrecht –, sofern damit der Erwerb von Anrechten zur Altersversorgung verbunden ist, |
▪ |
Verschaffung von Sachwerten zur sicheren und dauerhaften Einnahmeerzielung (Grundbesitz, dingliche Nutzungsrechte, Unternehmensbeteiligungen, kurssichere Wertpapiere), |
▪ |
Abschluss von Lebens-/Rentenversicherungen. |
Rz. 68
Die vertraglich zugesagten Kompensationsleistungen müssen allerdings zu einem angemessenen, aber nicht notwendig zu einem gleichwertigen Ausgleich für den Verzicht führen.
Subjektiv sind der mit der Vereinbarung verfolgte Zweck sowie die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen. Dazu gehört auch die Prüfung, ob der Vertrag eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten widerspiegelt, die zugleich das nicht gerechtfertigte Ausnutzen einer Zwangslage darstellt. Darunter fallen
▪ |
Beteiligung von Schwangeren, |
▪ |
eine gravierende wirtschaftliche soziale Imparität der Ehegatten, |
▪ |
Bleiberechtsehen unter Beteiligung ausländischer Ehegatten, |
▪ |
sog. last-minute-Ehevertrag, außer es wurde darüber bereits vor Eheschließung angemessen verhandelt, |
▪ |
Ehegatte "wurde zum Notar geschleppt", |
▪ |
vor dem Notartermin keine Kenntnis vom beabsichtigten Ausschluss des Versorgungsausgleichs. |
Rz. 69
Praxistipp:
▪ |
Ist der VA Teil einer umfassenderen Gesamtvereinbarung der Ehegatten zur Vermögensauseinandersetzung, muss die Prüfung der Inhalts- und Ausübungskontrolle die getroffenen Regelungen im Rahmen einer Gesamtwürdigung mitbeachten. |
▪ |
Bei einem isolierten Abschluss der Vereinbarung zum VA kommt es auf das wirtschaftliche Gesamtergebnis im Rahmen der Folgeregelungen der Scheidung an. |
▪ |
Sofern sich daraus eine ausreichende Kompensation für den Verzicht ergibt, ist die Vereinbarung wirksam. |
▪ |
Unerheblich ist es, ob die anderen vermögensrechtlichen Regelungen durch gerichtliche Entscheidung oder Vereinbarung erfolgt sind. |
Rz. 70
Hinweis:
Ein zunächst wirksam vereinbarter Ausschluss des Versorgungsausgleichs muss auch einer Ausübungskontrolle stand halten.