Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 99
Praktisch häufiger ist der Fall, dass der Unterhaltsanspruch als solcher unstreitig ist, jedoch sehr verschiedene Ansichten über die Höhe des zu zahlenden Betrages bestehen. Ein bestimmter Betrag wird daher vom Unterhaltspflichtigen freiwillig gezahlt; die Berechtigte möchte aber mehr. Hier ist – insbesondere im Hinblick auf die -Rechtsprechung des BGH – für beide Seiten besondere Vorsicht geboten, um nicht aus prozessualen Gründen Nachteile zu erleiden.
Rz. 100
Zu differenziere ist zwischen
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dem unstreitigen, freiwillig gezahlten Sockelbetrag und |
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dem streitigen Spitzenbetrag. |
Rz. 101
Aus Sicht des Unterhaltspflichtigen sind folgende Verfahrensgestaltungen denkbar:
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der Unterhaltspflichtige zahlt freiwillig den Sockelbetrag, es besteht aber darüber kein Titel oder |
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der Unterhaltspflichtige zahlt freiwillig den Sockelbetrag und hat hierüber bereits einen Titel erstellt. |
a) Es besteht kein Titel über den freiwillig gezahlten Sockelbetrages
Rz. 102
In diesem Fall wird die Unterhalteberechtigte den gesamten Betrag, also den freiwillig gezahlten Sockelbetrag und den streitigen Spitzenbetrag geltend machen. Der Antrag ist gerichtet auf Zahlung des gesamten, insgesamt verlangten Betrages. Die Höhe der bisherigen freiwilligen Zahlungen ergibt sich erst aus der Antragsbegründung. Verfahrenswert ist der Jahresbetrag des gesamten Unterhalts.
Rz. 103
Praxistipp:
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Auch hier muss der Antrag im Hinblick auf die zwischenzeitlichen (Teil-) Zahlungen angepasst werden. |
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Allerdings gibt ein Unterhaltsschuldner, der nur Teilleistungen auf den geschuldeten Unterhalt erbringt, durch sein Verhalten hinsichtlich des vollen Unterhaltsanspruchs Veranlassung zur Einleitung des gerichtlichen Verfahrens, ohne dass es auf eine vorherige Aufforderung zur außergerichtlichen Titulierung ankommt. |
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Denn ein Unterhaltsgläubiger hat grundsätzlich auch dann ein Rechtsschutzinteresse an der vollständigen Titulierung seines Unterhaltsanspruchs, wenn der Schuldner den Unterhalt bisher regelmäßig und rechtzeitig gezahlt hat. |
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Daher kommt in diesen Fällen ein sofortiges Anerkenntnis mehr in Betracht. |
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Der Unterhaltspflichtige kann also nicht mehr darauf bauen, dass er vor dem gerichtlichen Verfahren nicht zur freiwilligen Titulierung aufgefordert worden ist. |
b) Es besteht ein Titel über den freiwillig gezahlten Sockelbetrag
Rz. 104
Besteht bereits ein Titel über den freiwillig gezahlten Sockelbetrag, kann dieser Betrag nicht erneut im Rahmen eines Leistungsantrages geltend gemacht werden.
aa) Verfahrensrechtliche Vorgaben
Rz. 105
In dieser Situation ging man früher davon aus, dass ein (ergänzender) Zahlungsantrag gestellt werden muss:
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"… monatlich weitere 200 EUR über durch die UR 1/2021 der Notars Meier in Musterhausen titulierten 500 EUR hinausgehend zu zahlen." |
oder
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"… monatlich weitere 50 EUR über durch die die Urkunde des Jugendamtes in Musterhausen vom 21.1.2021 titulierten 250 EUR hinausgehend zu zahlen." |
Das Ergebnis war dann, dass
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über den Sockelbetrag weiterhin ein außergerichtlicher Titel bestand, der nach Maßgabe des § 239 FamFG und materiellrechtlich nach § 313 BGB abzuändern wäre und |
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über den Spitzenbetrag ein gerichtlicher Titel, für dessen spätere Abänderung § 238 FamFG zur Anwendung kommt. |
Rz. 106
Besteht bereits ein anderweitiger Titel über den Sockelbetrag, dann muss nach der Rspr. des BGH der Antrag im gerichtlichen Verfahren nicht mehr als Nachforderungsantrag (früher Nachforderungsklage) auf den Spitzenbetrag beschränkt werden. Vielmehr ist ein Abänderungsverfahren nach § 239 FamFG einzuleiten:
Rz. 107
Demnach sind folgende Anträge zu formulieren:
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"… unter Abänderung der UR 1/2021 der Notars Meier in Musterhausen ab … monatlich 700 EUR zu zahlen." |
oder
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"… unter Abänderung der Urkunde des Jugendamtes in Musterhausen vom 21.1.2021 ab … 300 EUR zu zahlen." |
Rz. 108
Dann wird im Abänderungsverfahren der vorhandene außergerichtliche Titel beseitigt und ein neuer und einheitlicher – gerichtlicher – Titel geschaffen. Für spätere (weitere) Abänderungsverfahren bedeutet das, dass nur noch der (neue) gerichtliche Titel angegriffen werden muss und damit die Regelungen des § 238 FamFG zur Anwendung kommen.
Rz. 109
Praxistipp:
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Dann wird im Abänderungsverfahren der vorhandene außergerichtliche Titel beseitigt und ein neuer – gerichtlicher – Titel geschaffen, der den gesamten geschuldeten Unterhaltsbetrag umfasst. |
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Für spätere (weitere) Abänderungsverfahren bedeutet das, dass nur noch der (neue) gerichtliche Titel angegriffen werden muss und damit die Regelungen des § 238 FamFG zur Anwendung kommen. |
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Vermieden werden hierdurch sog. "Patchwork-Titel", bei denen sich die Verpflichtung aus dem Zusammenspiel von außergerichtlichem und gerichtlichem Titel ergibt. |
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