Rz. 50
Geschichten und Legenden speichern den gemeinsamen Erfahrungsschatz einer Familie. Sie verbinden. Sie machen Informationen verfügbar über Erfolge, Zugeständnisse und Rückschläge sowie über Haltungen und Werte anderer Familienmitglieder. In den Geschichten zeigen sich Besten-Idealisierung und Helden-Legenden oder auch Geschichten vom Umgang mit Zweifeln und Scheitern. Die Geschichten an der Zeit und Situation zu spiegeln, erlaubt ggf. auch auf Distanz zu gehen. Besonders Helden-Legenden können es späteren Generationen schwer machen, Teamgeist zu entwickeln. Ab der zweiten Generation gehören regelmäßig mehr oder weniger ermutigende Geschichten über die Stabübergabe zum Repertoire. Sie liefern gemeinsame Orientierungspunkte.
Gemeinsame Traditionen und Rituale wirken verbindend. Sie bilden einen weiteren Teil des gemeinsamen Fundaments einer Unternehmerfamilie. Althergebracht oder den Zeiten angepasst – wesentlich ist ihre verbindende Wirkung. Junge Unternehmerfamilien entwickeln ggf. erst einen Sinn für die Bedeutung von Traditionen und Ritualen im Rahmen der Familienstrategie.
Rz. 51
Gemeinsame Werte spielen in der Nachfolge eine besonders wichtige Rolle. Zu den klassischen Sorgen der Übergeber gehört, dass ihr Lebenswerk bzw. das der Vorfahren nicht "in ihrem Sinne" fortgeführt wird. Hierzu gehören grundlegende Maßstäbe, wie Qualitätsbewusstsein, Verlässlichkeit, vorausschauendes Denken etc.
Im Rahmen der Familienstrategie haben die Generationen Gelegenheit, sich über die Bedeutung und Auswirkungen der Werte, die das Unternehmen prägen, auszutauschen und festzulegen, welche Bedeutung diese auch künftig im Unternehmen haben werden. Dieser Austausch fördert im Unternehmen Kontinuität und zwischen den Generationen Vertrauen.
Rz. 52
Die Werte der Familie sind zu den Maßstäben im Unternehmen nicht nur verschieden, sondern mitunter auf charakteristische Weise widersprüchlich. Das gilt es bewusst zu machen und anzuerkennen. Die Unterscheidung von Werten der Familie und des Unternehmens spielt für die Streitvermeidung eine besondere Rolle (vgl. Rdn 16).
Rz. 53
Die beschriebene Unterschiedlichkeit und Widersprüchlichkeit ist das eine. Ein weiterer ebenso charakteristischer und bedeutsamer Aspekt ist, dass sich Familienunternehmen und Unternehmerfamilie gegenseitig prägen. Die Unternehmensnachfolge ist ein guter Anlass zu hinterfragen, ob womöglich ein stark familiär geprägtes Unternehmen einer Emanzipation bedarf, weil Größe und Wettbewerbssituation sich geändert haben. Und umgekehrt, ob die Größe der Familie eine stärker unternehmerische Prägung benötigt, um ihre Handlungsfähigkeit zu sichern (nicht zuletzt mehr Rationalität). Steht also mit dem Generationswechsel eine Wandlung vom familiär geprägten Familienunternehmen zur unternehmerisch geprägten Unternehmerfamilie an?
Rz. 54
Aus der gegenseitigen Prägung ziehen Unternehmen und Familie idealerweise Vorteile. Unterschiede und Widersprüche führen nicht zu Streit oder Stillstand. Sie sind Triebfeder für kreative (und immer wieder überlegene) Lösungen. In der Kombination von familiären Werten wie Abhängigkeit, Loyalität, Sicherheit, Stabilität einerseits und unternehmerischen wie Risiko, Autonomie, Innovation, Wandel andererseits wird ein genereller Überlebensvorteil von Familienunternehmen gesehen. Wertsteigerung und Langlebigkeit von Familienunternehmen werden darauf zurückgeführt, dass sie von einem geübten, konstruktiven Umgang mit widersprüchlichen Maßstäben profitieren. Als ideales Selbstverständnis wird die Kombination in der Family Entrepreneurial Orientation herausgestellt.
Abb. 6: Family Entrepreneurial Orientation – Widersprüchliche Maßstäbe in Familie und Unternehmen befruchten sich
Rz. 55
Welche Werte die Familie auch prägen, in allen Fällen gilt, je klarer und verbindlicher die gemeinsamen Werte sind, umso stärker ist die Familie, umso leichter vermittelt sich Zugehörigkeit. Mit jeder Generationenstufe gewinnt das an Bedeutung. Denn je größer und vielfältiger die Familie, umso größer ist die Gefahr der Entfremdung. Die Bindung des Einzelnen an die Gemeinschaft und die Bereitschaft, sich dem Gemeinsamen zu verschreiben nehmen ab, weil das Zentrum des eigenen Lebens weit vom Unternehmen, dessen Produkten, dessen Standort, den übrigen Familienmitgliedern entfernt ist (vgl. Rdn 36).
Rz. 56
Für das Gelingen der Unternehmensnachfolge kann es in diesem Sinne hilfreich sein, eine sehr enge Verbindung von Unternehmen und Familie zu lockern. Steht das Unternehmen dominant im Zentrum der Aufmerksamkeit der Familie, fällt es ihr bisweilen schwer, eine eigenständige familiäre Kultur zu beschreiben. Das gilt z.B. für Familienunternehmen, in denen der Gedanke "Familie als Ressource für das Unternehmen" prägend ist. Im Rahmen der Familienstrategie vergegenwärtigt sich die Familie ggf. erstmals die eigenen Konturen. Die benötigt sie, um Zugehörigkeit jenseits des Unternehmens vermitteln zu können. Sind in der kommenden Generation nicht alle Familienmitglieder oder -st...