Good Governance bei der Nachfolge in Familienunternehmen
Viele kennen sicherlich das Sprichwort: „Da, wo der Batzen geschlagen ist, gilt er nichts.“ Gemeint ist, dass die Münze (Batzen) dort, wo sie geprägt wurde, einen geringeren Wert besitzt als in auswärtigen Territorien. Im Laufe der Zeit wurde diese Ansicht vom materiellen auf ideelle Werte übertragen – nämlich auf Wissen und Können – und als Sprichwort auf Lehrlinge angewandt, deren Fähigkeiten im eigenen Lehrbetrieb geringer eingeschätzt werden als außerhalb. Aus dieser Überzeugung erwuchsen ganze Strukturen. So entwickelte sich im Zunftwesen die Gesellenwanderung und damit die Mitarbeit und Erfahrung in anderen Betrieben in fast allen Handwerkszweigen als zwingend vorgeschriebener Teil der Ausbildung nach Abschluss der Lehrzeit und vor der Zulassung zur Meisterprüfung. Dahinter steckt die grundlegende Einsicht, dass für eine gute und fundierte Entwicklung von Wissen, Können und Persönlichkeit das Sammeln von externer Erfahrung unerlässlich ist. Überträgt man diesen Grundsatz auf Familienunternehmen, bedeutet dies, dass nächste Generationen aus Unternehmerfamilien („NextGens“) von fremden Unternehmern lernen sollen, um später den eigenen Familienbetrieb erfolgreich zu führen.
Familienunternehmer benötigen mehr Kompetenzen
Mittlerweile absolvieren viele NextGens einen Teil ihrer Ausbildung außerhalb des elterlichen Betriebs. Sie studieren im Ausland, arbeiten in Konzernen oder bei Beratungsfirmen. In diesen Strukturen herrschen allerdings vollkommen andere Führungsinstrumente und Werte als in hiesigen Familienunternehmen. NextGens aus Unternehmerfamilien benötigen besondere Skills. Sie müssen nämlich nicht nur fachliche Kompetenzen besitzen, um erfolgreiche Nachfolger im Familienunternehmen zu sein. Darüber hinaus müssen sie viele Bedürfnisse balancieren können, um das Unternehmen gut in die nächste Generation zu führen: die der Familie, die der abgebenden Generation, die der langjährigen Mitarbeiter usw. Dafür gibt es in unserem Bildungssystem aber keine Ausbildung, das lässt sich nur in der Praxis erlernen. Jedoch gerade der elterliche Betrieb eignet sich häufig nicht für diese Ausbildung, denn hier besteht die Gefahr familiärer Verstrickungen und eingefahrene Dynamiken. Eben diese sind der Grund für immerhin 66 Prozent aller misslungenen Nachfolgen. Die sogenannten Softskills werden daher am besten außerhalb der eigenen Unternehmerfamilie, jedoch in einem Familienunternehmen mit vergleichbaren Werten und ähnlichen Herausforderungen vermittelt.
Unternehmensnachfolge im Rahmen einer Good Governance
Unter Corporate Governance versteht man Regelungen, die ein Unternehmen vor schlechten Entscheidungen schützen und das Wohl aller Stakeholder im Blick behalten, um eine einseitige Gewinnmaximierung auf Kosten der Umwelt, der Mitarbeiter, des nachhaltigen Unternehmenserfolgs o.ä. zu vermeiden. Dann wird eine Corporate Governance zur Good Governance. Familienunternehmen halten allerdings eine solche Good Governance zu Recht oft nicht über Regelungen und kontrollierte Strukturen ein, sondern über eine starke Werteorientierung, über ein tiefes Bewusstsein für eine nachhaltige Unternehmensführung, über Verantwortungsempfinden gegenüber Mitarbeitern, Umwelt, Region, Produktqualität etc. Die so etablierte Good Governance muss aber in Familienunternehmen an die nächste Generation übertragen werden. Da sie nicht verschriftlicht ist und oft auch nicht werden kann und sollte, müssen diese Werte etc. anders an die NextGen weitergegeben werden. Zum einen erfolgt das natürlich über Erziehung, Sozialisation und Vorbild. Da sich aber die Eltern gerade im postpubertären Ablösungsprozess manchesmal aufgrund von eingeschliffenen Familiendynamiken nicht so gut eigenen, den eigenen Kindern diese Werthaltung zu vermitteln, entstand in der gemeinnützigen EQUA-Stiftung, die sich seit über 20 Jahren mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Besonderheiten von Familienunternehmen und Unternehmerfamilien beschäftigt, schon vor längerem die Idee eines ‚Kindertauschs‘ zwischen Unternehmerfamilien.
‚Tinder‘ für Unternehmerfamilien
Aber wie ließe sich das realisieren, ohne ein entsprechendes Netzwerk und 100 Jahre nach Ende der Gesellenwanderung? Dank der digitalen Möglichkeiten konnte die EQUA der alten und richtigen Einsicht, dass man Erfahrungen in fremden Familienunternehmen sammeln sollte, nun endlich neue und zeitgemäße Strukturen geben. Auf der digitalen Plattform switch können sich NextGens und NowGens aus unterschiedlichen Familienunternehmen finden, um so voneinander zu lernen und Erfahrungen auszutauschen. Damit soll es möglich gemacht werden, Nachfolge außerhalb der eigenen Familiendynamiken zu üben und so das eigene Familienunternehmen erfolgreich in die nächste Generation zu führen. Das Prinzip von switch folgt dabei den Mechaniken von Dating-Apps: Benutzer erstellen ihre Profile mit ihren Erfahrungen und Interessen und laden diese auf der Plattform hoch. Der intelligente Algorithmus sucht nach Übereinstimmungen zwischen Firmeninhabern und potenziellen Nachfolgern anderer Unternehmerfamilien. Gibt es ein „Match“, kann Kontakt aufgenommen werden.
Erfahrungsaustausch ist vielfältig
Den Partnern bleibt es dabei freigestellt, was und wie sie diesen Kontakt nutzen, denn jeder Fall und jede Situation ist anders: Vielleicht hat ein NextGen schon die Nachfolge im eigenen Familienunternehmen angetreten, möchte aber durch einen Mentor eine Art Korrektiv zu den eigenen Eltern haben und zusätzliche familienunternehmenstypische Erfahrungen kennenlernen. Oder ein Nachfolger hat das Familienunternehmen sehr früh übernehmen müssen, weil die NowGen überraschend ausgefallen ist. Auch hier kann ein Mentor von großem Nutzen sein. Viele ältere Familienunternehmer verfügen über große Erfahrung, die in keiner Universität oder Ausbildung zu erlernen ist, und finden den Gedanken durchaus reizvoll, ihr Know-how an die nächste Generation weiterzugeben. Möglich ist auch die Realisation eines Traineeship oder einer Geschäftsführungsassistenz, bei der ein junges Mitglied einer Unternehmerfamilie alle wichtigen Abteilungen eines anderen Familienunternehmens durchläuft, angeleitet und betreut von einem fremden NowGen und frei von möglichen Vorbehalten der eigenen Familie oder Mitarbeitern. Die bestehende Generation der Unternehmensinhaber kann hingegen üben, mit potenziellen Nachfolgern zusammenzuarbeiten, Verantwortung zu übertragen und loszulassen, ohne dies schon konkret und endgültig tun zu müssen.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten durch eine solche „Gesellenwanderung“ voneinander zu lernen, die Potenziale der Generationen auszuschöpfen und dadurch die Good Governance im eigenen Familienunternehmen gerade auch im Nachfolgeprozess zu stabilisieren.
-
EU-Lieferketten-Richtlinie verabschiedet!
248
-
ESG als Grundlage für nachhaltige Vergütungsziele
26
-
Solo im Nachhaltigkeitsmanagement: Allein gegen die Datenflut
18
-
Gendergerechte Arbeitswelt! Aber wie?
17
-
Grüne bAV – wie nachhaltig sind aktuelle Vorsorgelösungen wirklich?
17
-
Die EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflicht gegenüber Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit
16
-
Soziale Nachhaltigkeit und digitale Transformation
13
-
„Unsere Unternehmensphilosophie ist nicht verhandelbar“
11
-
Sustainability Due Diligence – pragmatisch und zielführend angehen
11
-
Corporate Citizenship: Definition, Geschichte, Beispiele
10
-
Kinderrechte in Lieferketten: Die wirksamsten Handlungsfelder
17.12.2024
-
„Lass mich mit Nachhaltigkeit in Ruhe!“
16.12.2024
-
„Vom klassischen CSR-Manager zum Transformations-Manager“
11.12.2024
-
Solo im Nachhaltigkeitsmanagement: Allein gegen die Datenflut
11.11.2024
-
Ideal und Realität: Worauf es im Nachhaltigkeitsmanagement ankommt
31.10.2024
-
Corporate Citizenship: Definition, Geschichte, Beispiele
18.10.2024
-
„Soziale Nachhaltigkeit ist kein Selbstzweck“
09.10.2024
-
Grüne Talente gesucht: Fachkräftemangel bremst Nachhaltigkeit in Unternehmen
08.10.2024
-
Regenerative Organisationspotenziale freisetzen
19.09.2024
-
Good Governance bei der Nachfolge in Familienunternehmen
18.09.2024