Ideal und Realität: Worauf es im Nachhaltigkeitsmanagement ankommt
„Ohne Weisungsgewalt ist alles, was Sie tun, zum Scheitern verurteilt“, sagt Julia Schäfer, Nachhaltigkeitsmanagerin bei den Schwartauer Werken, klipp und klar. Meistens hätten die Stabsstellen aber genau diese nicht, und deshalb sei es wichtig, sich vor allem mit der Geschäftsführung gut zu vernetzen. Doch wie gelingt das? „Ich habe mich bei Meetings der Geschäftsleitung und obersten Führungsebene auf die Agenda setzen lassen“, sagt Schäfer. Mehrfach habe sie in 20 Minuten-Slots ihre Themen vorgetragen, Standpunkte und Rahmenbedingungen erfragt und entsprechende Updates geliefert. „Das Thema bekommt so ein ganz anderes Standing. Man darf sich nur nicht einschüchtern lassen“, so Schäfer.
Doch nicht nur nach oben, auch nach unten, zu denjenigen, die in ihren Abteilungen und Fachbereichen Projekte umsetzten sollen, bedarf es einer guten Verbindung. „In der Kantine setze ich mich gern an unterschiedliche Tische oder verabrede mich mit Kolleg:innen aus verschiedenen Fachbereichen zum Kaffeetrinken. Nur so bekomme ich mit, wie die Leute ticken und was gerade anliegt“, erklärt Schäfer.
Etwa, dass gerade andere Projekte für viel zusätzliche Arbeit sorgen und weitere Aufgaben momentan eher nicht gut ankommen. So musste beispielsweise während einer SAP-Einführung im Unternehmen die Bearbeitung von Nachhaltigkeitsthemen in einigen Abteilungen pausiert werden. In anderen Abteilungen entstanden hingegen in dieser Zeit neue Möglichkeiten, gerade auch durch den individuellen Austausch. „Daneben gilt immer: Jede und jeder muss individuell angesprochen werden“, sagt sie.
Resilienz, Mut, Haltung im Nachhaltigkeitsmanagement
Grundsätzlich sieht Schäfer in Nachhaltigkeitsmanager:innen die sprichwörtlichen „eierlegenden Wollmilchsäue“. Denn: „Wir müssen alles können: Strategie, Kommunikation, Daten- und Projektmanagement, und brauchen dafür Resilienz, Mut und Haltung – zumindest im Moment“, so Schäfer. Derzeit seien vor allem kommunikative, analytische und strategische Fähigkeiten stark gefragt, perspektivisch aber gehe es darum, andere zu qualifizieren, damit die Fachabteilungen Nachhaltigkeitsthemen selbstständig in ihr tägliches Handeln aufnehmen können. „Es gibt in Unternehmen ja auch keine BWL-Abteilung – sondern das betriebswirtschaftliche Denken läuft bei allem Handeln immer mit. So soll und wird es auch mit Nachhaltigkeit werden“, ist sie überzeugt, „derzeit sind wir überwiegend Kommunikator:innen, künftig werden wir aber wieder zu Fachexpert:innen.“
Die koordinierende Rolle der Gegenwart münde in eine Spezialistenfunktion in der Zukunft, die Datenanalyst:innen ebenso benötigen werde wie Themenexpert:innen für umweltverträgliche Produktionsmethoden, Verpackungen, Beschaffung und vieles weitere. Im Moment aber ergebe es Sinn, „die dicken Bretter zu bohren. Reden Sie nicht darüber, den Plastikstrohhalm in der Kantine abzuschaffen, sondern zeigen Sie die großen Themen auf“, so Schäfer. Gemeint sind damit vor allem die übergeordneten Ziele und möglichen Erfolge.
Nein sagen können, nicht alles selbst machen
Jede Abteilung brauche aber anschließend wieder Teilaufgaben – im Fall der Schwartauer Werke sei das beispielsweise eine Aufteilung der Rohstoffe Schokolade, Glas oder Metall und daraus abgeleitet eben drei verschiedene Aufträge zur Prüfung der Lieferkette an unterschiedliche Verantwortliche. „In jedem Fall sollten Sie der Erwartung entgegentreten, dass Sie als Nachhaltigkeitsmanagerin alles selbst machen können“, rät Schäfer. Um das Engagement anderen zu verstetigen, gibt sie Zuarbeitenden aus dem Unternehmen zum Beispiel Sichtbarkeit bei der Geschäftsführung, stellt die betreffenden Projekte dort vor.
Ausdrücklich rät sie davon ab, „Verhinder:innen drehen zu wollen – das kostet viel zu viel Kraft“. Vielmehr sei es empfehlenswert, individuelle Rahmenbedingungen und Hürden aufzudecken und darauf aufbauend Initiativen zu erarbeiten. „Ich frage gern, was es konkret bräuchte, um Dinge möglich zu machen anstatt zu fragen, warum etwas nicht möglich ist. Wenn eine Zauberfee käme: Was würde sie mitbringen, um das Problem zu lösen? Häufig wissen die Kolleg:innen dann sehr genau, wie sie vorankommen könnten und auf dieser Basis können wir mit konkreten Bedarfen und Projektbeschreibungen auch in den Dialog mit Vorgesetzten oder Leitungsebene kommen,“ sagt Schäfer.
Wichtig findet sie aber auch, „Nein“ sagen zu können und zu delegieren – möglichst in die Fachabteilungen in denen dieser Aspekt einer nachhaltigen Unternehmensführung zukünftig zum neuen Standard werden sollte. „Mitunter muss ich Kolleg:innen absagen, sie bei der Umsetzung toller Ideen zu unterstützen.“ Priorisieren sei unabdingbar – auch, um bei begrenzten Ressourcen den größtmöglichen Impact zu generieren. Und natürlich stünde man immer mal wieder vor gänzlich verschlossenen Türen – auch das gelte es auszuhalten.
Ambiguitätstoleranz, die psychische Hornhaut
Aushalten – das ist ein Stichwort, das auch bei anderen häufiger fällt. So macht Sandra Henze vom Messedienstleister mac. brand spaces GmbH retrospektiv vier große Musts aus, die Nachhaltigkeitsmanager:innen mitbringen müssen. Dabei steht an erster Stelle eben genau diese Fähigkeit. „Wir brauchen, was die Wissenschaft ‚Ambiguitätstoleranz‘ nennt, also die Fähigkeit, Widersprüchliches auszuhalten.“ Das betrifft vor allem die Kluft zwischen dem, was man gerne umsetzen würde, und den Rahmenbedingungen, dem Mindset anderer Beteiligter. „Wir befinden uns in einem Transformationsprozess, innerhalb dessen jeder Mensch sein individuelles Tempo hat“, erklärt sie, „deshalb ist eine gewisse Hornhaut wichtig, die Fähigkeit sehen zu können, dass die eigenen Intentionen und eingeschlagenen Wege, Dinge umzusetzen, andere nicht unbedingt teilen müssen.“
Hilfreich sei an dieser Stelle eine Stakeholder-Analyse: Wer ist stark von der Transformation betroffen, wen wollen wir aktivieren, wen überzeugen, wer hat Informationen, die benötigt werden? Diese Person gelte es im nächsten Schritt kennenzulernen, ohne gleich nach vorne zu preschen. Informell bei einem Kaffee und formell bei Meetings in den einzelnen Fachabteilungen. Danach verstehe man besser die Bedürfnisse und Herausforderungen – und wie man ihn oder sie besser abholen könne. „Das eigene Ziel zielgruppengerecht ausrichten, darum geht es“ so die Nachhaltigkeitsmanagerin, „manche Menschen brauchen klare Vorgaben, andere möchten experimentieren und mitentwickeln können. Nachhaltigkeit erfordert zum einen klare Ziele, aber zum anderen auch einen gewissen Grad an Forschung und Ausprobieren.“
Weitsicht und Ausdauer, der lange Atem
Mit dieser sensiblen Form der Kommunikation verbunden sind die Aspekte „Ausdauer“ und „Weitsicht“. Henze meint: „Man muss sowohl in langen Zyklen als auch in Prozessen denken können.“ All diese Skills – ob soft oder nicht – sind ihrer Meinung nach erwerbbar, allerdings um den Preis etlicher „Frustrationsmeilen, wer’s von vornherein hat, hat’s einfacher.“ Stelle man fest, dass man vielleicht doch nicht in der ersten Reihe Dinge treiben wolle, dann könne man einer internen Initiative, einer Arbeitsgruppe für Nachhaltigkeit beitreten oder selbst eine solche gründen. Anschließend könne man gemeinsam in einem kleineren Team zunächst Bottom-up nachhaltigere Prozesse anstoßen und Projekte verwirklichen.
Die Spannungsfelder, die es auszuhalten gelte, seien nämlich enorm und immer abhängig von der unternehmerischen Kultur und der Branche. Aus ihrer eigenen – der Messebranche – kennt sie die starke Ausrichtung an den Wünschen und Vorgaben der Kundschaft. „Trotz unseres starken Nachhaltigkeitskonzepts entscheidet das Budget und die Marke des Kunden, wie sein Messestand aussehen soll. So treffen wir in Absprache mit unseren Kunden Entscheidungen zum Messeauftritt, die nachhaltiger sind oder noch Luft nach oben haben. Wir wollen unsere Kunden mitnehmen bei der Nachhaltigkeitstransformation und nicht verprellen“, so Henze.
Nachhaltigkeitsmanagement mit Timing und Fingerspitzengefühl
Vieles sei auch eine Frage des richtigen Timings, berichtet Selina Becker, Director Sustainability bei der FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH. Für Veränderungsprozesse werde Zeit benötigt, und es sei wichtig, dies in internen Prozessen zu berücksichtigen. „Durch unsere Veranstaltungen haben wir verschiedene Hochphasen, wo der Fokus auf der Planung und Umsetzung dieser liegt. So finden im Sommer beispielsweise unsere Festivals statt, bei denen die Festivalabteilung entsprechend eng eingebunden ist“, erklärt sie, „wir haben daher neben den Positionen im Bereich der Festival Sustainability einen übergeordneten Nachhaltigkeitsbereich geschaffen, damit das Thema ganzjährig strategisch vorangebracht werden kann.“ Generell empfiehlt sie, sich zu fragen, wo die Arbeitsspitzen im eigenen Unternehmen bei den betreffenden Abteilungen oder Personen liegen und dies entsprechend zu berücksichtigen.
Außerdem sei der Austausch mit Kolleg:innen wichtig: „Ich führe sehr viele Gespräche und höre mir die Bedürfnisse anderer Abteilungen an“, so Becker. Dieses Vorgehen verlange natürlich Empathie und die Fähigkeit, die persönlichen Treiber der Menschen zu erkennen und die eigenen Ziele entsprechend passgenau herunterzubrechen.
Impulse im engen Austausch
Auch sie betont die Bedeutung der Ambiguitätstoleranz und sagt: „Ich bin aufgrund meiner Überzeugung schon früh in den Nachhaltigkeitsbereich gegangen, um meine Werte auch mit meinem Job zu verbinden.“ Im Arbeitsalltag seien manchmal Kompromisse notwendig, um Überzeugungen langfristig zur Realität werden zu lassen. Ihre persönliche Strategie, um damit umzugehen, hängt mit der Wahl des Arbeitsumfeldes zusammen: „Ich habe schon immer eine große Faszination für Musikveranstaltungen gehabt und sehe hier dank vieler guter Ideen auch ein großes Potenzial. Das hilft mir neben meiner Liebe für das, was wir tun, dabei, eine entsprechende Ambiguitätstoleranz zu haben.“
Innerhalb des Unternehmens setzt sie auf Arbeitsgruppen für den Austausch und sieht sich inzwischen vor allem als Impulsgeberin: „Es gibt verschiedene Themenbereiche, an denen Mitarbeitende bei uns auch ein persönliches Interesse haben, wie beispielsweise Diversität. Ich finde es wichtig, dazu beizutragen, dass sich alle einbringen können, insbesondere bei Themen, die den Kolleg:innen selbst wichtig sind. Meine Aufgabe sehe ich nicht zuletzt darin, sie dabei zu unterstützen“, so Becker.
Vernetzung ohne Konkurrenzdruck. Oder ein Ehrenamt.
Gegen die Bürde, als Alleinkämpfende innerhalb der Organisation oder auch im Kundenkontakt Neuerungen durchsetzen zu müssen, hilft es auch, sich zu vernetzen: „Wir sollten aufhören zu denken, dass wir alleine sind. Das sind wir nämlich nur innerhalb unserer eigenen Organisationen. Außerhalb gibt es geballte Power, dort bildet sich seit einigen Jahren eine starke Community“, sagt Sandra Henze von mac. Das Besondere daran sei, dass alle ein gemeinsames Ziel eint, „und deshalb null Konkurrenzdenken herrscht“ – ein Faktum, das andernorts oft nur eine oberflächliche Netzwerkkultur zulasse.
Selina Becker von FKP Scorpio beschreibt ebenfalls die „tolle Bubble, die einen mit Menschen zusammenbringt, die sich in unterschiedlichen Kontexten für Nachhaltigkeitsthemen einsetzen“. Für sich persönlich hat sie noch eine weitere Strategie gefunden: die Ausübung eines Ehrenamts beim Weciety e.V. in Hamburg: „Mein Idealismus ist seit dem Studium immer stärker geworden, und im Rahmen meines Ehrenamts kann ich ihn so ausleben, wie ich es persönlich möchte. Das schafft mir einen wichtigen Ausgleich und öffnet auch den Blick für weitere Perspektiven.“
Julia Schäfer von den Schwartauer Werken indes verweist darauf, dass man sich stets auf die eigenen Stärken besinnen solle: „Proaktives Handeln, sich nicht einschüchtern lassen und auf die individuellen Stärken vertrauen – das ist das Wichtigste, um der Rolle eines Nachhaltigkeitsmanagers gerecht zu werden.“
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