Nachhaltigkeitsmanagement: Interview mit Christine Theuer

Wie kann ich meine Geschäftsleitung davon überzeugen, dass nachhaltiges Handeln nicht nur ein Hobby ist, sondern ein Business Need? Über diese und andere Fragen sprachen wir mit Christine Theuer, die seit fast zwei Jahrzehnten im Geschäft ist, zuletzt zehn Jahre als Nachhaltigkeitsverantwortliche bei einem Personaldienstleistungsunternehmen.

Frau Theuer, wie steht es um die Nachhaltigkeitsmanager:innen in Deutschland?

Christine Theuer: Die meisten von uns waren lange Zeit Single Runner, die in den Unternehmen auf sich allein gestellt waren. Sparring war meist nur über private Netzwerke möglich. So ist zum Beispiel die Peer School for Sustainable Development entstanden, die einen digitalen Austausch- und Lernraum für Sustainability Manager aus unterschiedlichsten Branchen und Institutionen bietet. Heute hat sich diese Situation zwar dahingehend verändert, dass sich durch die Einführungen von Regulatoriken wie der CSRD mehr Menschen im Unternehmen mit Nachhaltigkeit befassen müssen. Doch trotzdem kommen die Projekte nicht immer so voran, wie man sich das als Sustainability Manager wünschen würde. Das kann dann schon zu Momenten der Enttäuschung führen und erfordert eine hohe Resilienz. Es gilt, diese Frustration zuzulassen und die Dinge nicht persönlich zu nehmen. Suchen Sie immer nach der Ursache und fragen Sie sich: ‚Ist das jetzt systemisch, warum ich gerade nicht weiter komme?‘ Und wenn Sie das bejahen können, dann ziehen Sie ein anderes Thema vor. Vor allem aber: Feiern Sie Erfolge, und zwar alle! 

Gehört dazu auch der Austausch mit Berufskolleg:innen?

Es ist nicht das Wichtigste, aber das Pingpong mit Gleichgesinnten ermöglicht einen Best Practice-Austausch, gegenseitiges Lernen, gegenseitige Inspiration, vor allem aber Motivation. Denn uns allen geht es in erster Linie darum, eine enkelfähige Zukunft zu gestalten.   

Sie haben sich gerade selbst im Hinblick auf CSRD zertifizieren lassen. Weshalb?

Die CSRD kommt – in welcher Form auch immer. Und darauf sollten sich Sustainability Manager einstellen und entsprechend vorbereitet sein. Mir war es wichtig, einen passenden Instrumentenkoffer für die Zukunft zu haben, um die einzelnen Stakeholder entsprechend abholen, führen und beraten zu können. 

Hingehen, wo's weh tut: Nachhaltigkeit im Unternehmen

Lassen Sie uns auf die Seite der Unternehmen schauen. Hier sind die wenigsten so aufgestellt wie etwa das Musterbeispiel Patagonia. Warum kann es trotzdem sinnvoll sein, in ein klassisches Industrieunternehmen zu gehen?

Ja, das stimmt, aber ich habe gerade erst eine Studentin kennengelernt, die gesagt hat: ‚Ich will dahin, wo es richtig dreckig zugeht, und dort etwas verändern.' Es kann also auch ein Ansporn sein. Wichtig ist, sich klar zu machen, dass man immer den richtigen Hebel finden muss und sich bewusst zu sein, dass hohe persönliche Resilienz gefordert sein wird.

Das zeigt auch der ‚Sustainability People Report‘: Wenn Leute den Job wechseln, dann meist wegen der emotionalen Distanzierung respektive Desillusionierung, weil sich im Unternehmen nicht genügend verändert. Lässt sich das in irgendeiner Weise im Vorfeld genauer abschätzen?

Es bedarf wirklich des Blicks auf die Unternehmenskultur. Deshalb: Informieren Sie sich, bevor Sie sich entscheiden! Natürlich würde ich immer erst einmal sagen: Folgen Sie Ihrem Herzen! Gehen Sie in eine NGO oder auch in ein Unternehmen, vorausgesetzt es passt. Schauen Sie sich die Menschen an, die dort arbeiten. Schauen Sie darauf, wie sich das Unternehmen und seine Mitarbeitenden in den sozialen Medien präsentieren. Findet Nachhaltigkeit dort überhaupt einen Raum? Wenn Sie schließlich gestartet sind, finden Sie Multiplikatoren und vor allem: Geben Sie dem Ganzen genügend Zeit! Denn das Wenigste lässt sich binnen eines halben Jahres erledigen. Nehmen Sie es nicht zu persönlich, wenn Dinge nicht gleich umgesetzt werden – vielleicht braucht es einfach ein bisschen Zeit!

Gibt es denn auch Red Flags – etwas, wo Sie sagen: Das geht jetzt wirklich gar nicht mehr?

Die fehlende Ernsthaftigkeit. In dem Moment, in dem ich merke, dass die Themen nicht oder nicht mehr ernst genommen werden, muss ich das offene Gespräch suchen. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Unternehmensführungen zwar immer mehr verstehen, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit keine Gegensätze sind, in denen sie aufgrund von Investorendruck jedoch auf den kurzfristigen Profit achten müssen. In solchen Situationen kommt es vor allem darauf an, den Blick weg von den Risiken auf die Chancen zu lenken.

Auf der Suche nach der eigenen Rolle

Wie kann man seine eigene Rolle als Nachhaltigkeitsmanager gestalten?

Generell ist die Rolle immer an das jeweilige Geschäftsmodell geknüpft. Mein Tipp ist, sich wirklich strikt auf die Handlungsfelder zu fokussieren, die aus der Wesentlichkeitsanalyse hervorgegangen sind und in denen man wirklich etwas bewegen kann. Das dazu erforderliche Know-how verschaffen Sie sich beispielsweise über interdisziplinäre Arbeitsgruppen. Grundsätzlich gilt: Zeigen Sie die Wirkungslogiken auf und hinterlegen Sie sie mit Kennzahlen, um Fortschritte messen und transparent kommunizieren zu können. 

Gibt es dabei Dinge, die einem die Arbeit erleichtern?

Gehen Sie offen in den Dialog mit den Stakeholdern und zeigen Sie die Möglichkeiten in positiven Narrativen auf. Finden Sie den Leidensdruck, zum Beispiel den Fachkräftemangel, und schildern Sie, wie das Unternehmen in diesem Punkt von der Umsetzung ihrer Agenda profitieren kann. Zeigen Sie die wirtschaftlichen Chancen auf, sprechen Sie von Lösungen, nicht von Risiken. 

Tritt Nachhaltigkeit in den Hintergrund?

Wie weit sind die deutschen Unternehmen denn heute – ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen der ‚Grenzen des Wachstums‘?

Im Moment müssen viele Unternehmen aufgrund der multilateralen Krisen ihren Fokus auf die Sicherung ihres Kerngeschäfts legen, was die Nachhaltigkeit in den Hintergrund treten lässt. Doch ich halte das für eine Momentaufnahme, die CSRD wird kommen und die Unternehmen zwingen sich nicht nur finanzielle, sondern auch soziale und ökologische Ziele zu setzen. Ich schätze, dass in anderthalb Jahren, wenn die ersten Durchläufe des Reportings hinter ihnen liegen, viele Geschäftsleitungen erkennen werden, welchen Benefit die erhobenen Zahlen und Daten mit sich bringen und wie sie diese zur Geschäftssteuerung und -entwicklung nutzen können. 

Wie schätzen Sie die aktuelle politische Entwicklung des Themas ein?

Ich bedauere sehr, dass die CSRD in Deutschland immer noch nicht in nationales Recht umgesetzt wurde; Europa ist hier ein wichtiges Momentum. Auch wenn viel über die CSRD diskutiert wird, bin ich überzeugt davon: Die CSRD wird bleiben, auch wenn sich ihre Umsetzung möglicherweise nach hinten verschiebt und an der ein oder anderen Stelle nachgebessert werden wird, vor allem was den bürokratischen Aufwand anbelangt.

Welche Entwicklung wird das Berufsbild in Zukunft nehmen?

Schon jetzt ist der Begriff des ‚Nachhaltigkeitsmanagers‘ oder der ‚Nachhaltigkeitsmanagerin’ ja ein Oberbegriff, der CSR-Reporting-Spezialisten ebenso wie CSR-Spezialisten oder ESG-Experten umfasst. Künftig werden jedoch mehr und mehr Nischen und Spezialaufgaben entstehen, das Berufsbild wird sich deutlich wandeln und ausdifferenzieren. Weg vom klassischen CSR-Manager mehr zu Change-Agenten oder Transformations-Managern.

Christine Theuer kam 2011 über eine Position im Marketing zu ersten Erfahrungen mit Spenden und Corporate Citizenship. Nach einer Fortbildung an der Universität Bayreuth zur Nachhaltigkeitsmanagerin überzeugte sie ihre Geschäftsführung von freiwilligen DNK-Reportings und gestaltete die CSR-Strategie für das Unternehmen. Seit 2019 engagiert sie sich zusätzlich in der „Peer School for Sustainable Development" unter anderem als Vorstand, die ein Ort des Lernens und Vernetzens für Nachhaltigkeitsmanager:innen ist.



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