Rz. 58
Neben dem gemeinsamen Fundament benötigt die Familie eine gemeinsame Perspektive, um das Unternehmen nach dem Generationswechsel gemeinsam steuern zu können. Hier wird geklärt, was die Familie künftig erreichen will. Das vereinheitlicht die Erwartungen. Wollen wir den Zusammenhalt in der Familie wahren? Was verlangt das von dem Einzelnen? Was gilt es zu verbessern? Wollen wir den Fortbestand des Familienunternehmens sichern? Das Vermögen mehren? Was bedeutet das? Was bedeutet das für die Nachfolge?
Rz. 59
Ziele haben eine verbindende Kraft. Sie wirkt umso besser, je klarer man auch die Hürden benennt, die das Erreichen der Ziele erschweren können: Welche Interessen sind berührt? Wo stehen die Interessen des Einzelnen den Zielen für die Familie oder den Zielen für das Unternehmen entgegen? Wie gehen wir mit diesem Konflikt um? Finden wir einen guten Ausgleich oder kreative Wege, um verschiedenen Interessen gerecht zu werden?
Rz. 60
Die Unterscheidung von Zielen für die Familie und solchen für das Unternehmen macht auch Widersprüchliches sichtbar. Die Zukunftssicherung des Unternehmens erfordert womöglich, sich auf einen Kandidaten für die Geschäftsführung zu beschränken. Eine notwendige Priorisierung ist nicht ohne Konflikte zu haben. Im Rahmen des moderierten Prozesses der Familienstrategie können unterschiedliche Lösungsansätze zu Ende gedacht werden. Ein transparentes, sachliches Abwägen und gemeinsames Entscheiden wird die Legitimation der Lösung erhöhen und die Umsetzung erleichtern.
Die Familie profitiert auch in anderer Hinsicht: Das Trennen von Unternehmen und Familie beugt künftigen Missverständnissen vor (vgl. Rdn 17).
Rz. 61
Es ist überaus wertvoll, Interessen in angemessener Form offenzulegen und gemeinsame Ziele für Unternehmen und Familie zu konkretisieren. "Die Verständigung auf gemeinsame Ziele richtet die Familie aus. Sie generiert eine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft von Unternehmen, Vermögen und Familie. Durch die Beteiligung am Prozess erzeugt sie Verantwortung bei den Familienmitgliedern."
Das Abwägen der verschiedenen Interessen ist die Basis tragfähiger Lösungen. Nicht selten klemmt ja gerade hier die Kommunikation. Doch auch hier gilt es, konstruktiv mit den Konflikten umzugehen: Die Versachlichung ist einer Tabuisierung oder Dramatisierung entschieden vorzuziehen. Die Unternehmensnachfolge wird nur gelingen, wenn auch persönliche Interessen und Ziele berücksichtigt werden. Das betrifft das Loslassen genauso wie das Übernehmen. Das berührt finanzielle Fragen ebenso wie den Wunsch nach Freiraum, Anerkennung und Respekt.
Rz. 62
Häufig geht es darum, die Zusammenarbeit eines neuen Teams auszurichten. Ein Team, das aus mehreren Generationen bestehen wird und naturgemäß heterogen ist. "Was wollen WIR?", ist eine neuartige Frage. Auch für Geschwisterteams ist sie ungewohnt. Sie orientieren sich in der Regel an den Vorgaben der Eltern. Wettbewerb richtet sich möglicherweise sogar darauf, diese Ziele bestmöglich zu erreichen. Für ihre künftige Zusammenarbeit ist es entscheidend, selbst Ziele zu artikulieren.
Rz. 63
Generell gilt im Zusammenwirken der Generationen, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob eine Generation ein fremd gestecktes oder ein selbst gestecktes Ziel verfolgt. Um das Commitment der jüngeren Generation zu gewinnen, sind sie in die Artikulation der Ziele aktiv einzubinden. Was für eine geschäftlich unerfahrene junge Generation im Hinblick auf die übergeordneten Ziele für das Unternehmen schwierig sein könnte, in Bezug auf die Ziele für die Familie können sie sich einbringen.
Rz. 64
Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass die Familie sich auf gemeinsame Ziele und deren Konkretisierung verständigen kann. Die Frage "Was bedeutet das für mich?", wird sich früher oder später aufdrängen. Besser ist es, sie gleich zu thematisieren. In der Unternehmensnachfolge sind schließlich Weichen für die Zukunft zu stellen. Die Festlegungen sollen Bestand haben. Da ist es besser, Widerspruch oder Störgefühle zu benennen. Wenn sich schlussendlich kein Einvernehmen über die Ziele herstellen lässt, ist das wahrscheinlich eine Enttäuschung. Es ist dann aber eine stabile Grundlage, auf der eine andere Lösung aufbauen kann.