Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 145
Gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge ohne Zustimmung des anderen Elternteils stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht.
Rz. 146
Die gesetzliche Regelung des § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB hat die gemeinsame elterliche Sorge nicht zum Regelfall oder zu einer gesetzlichen Vermutung erklärt und damit auch nicht die Übertragung des Sorgerechts auf einen einzelnen Elternteil zu einem Ausnahmetatbestand gemacht. Jedoch ist für eine gesunde gedeihliche Entwicklung des Kindes eine enge vertrauensvolle Beziehung zu beiden Elternteilen wichtig. Wünschenswert ist es daher, dass sich bei dem betroffenen Kind das Bewusstsein entwickeln kann, beide Elternteile seien über die Trennung hinaus an seiner geistig-seelischen Entwicklung gleichermaßen interessiert, würden Verständnis für seine Bedürfnisse zeigen und seien gewillt, Verantwortung für eine kindgerechte Umsetzung seiner Bedürfnisse zu übernehmen. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im wohl verstandenen Kindeswohlinteresse.
Rz. 147
Im familiengerichtlichen Verfahren nimmt das Gericht eine zweistufige Kindeswohlprüfung vor:
1. |
In der ersten Stufe ist zu klären, ob die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Sorgerechts dem Kindeswohl am besten entspricht oder die Aufhebung der gemeinsamen Sorge vorzuziehen ist. |
2. |
Wird diese Frage bejaht, ist in der zweiten Stufe zu entscheiden, welcher Elternteil besser geeignet ist, in Zukunft die alleinige elterliche Sorge zu übernehmen. |
Zudem dürfen andere notwendige familiengerichtliche Maßnahmen dem nicht entgegenstehen (§ 1671 Abs. 4 BGB).
1.1. Stufe: Dient die alleinige elterliche Sorge dem Kindeswohl?
Rz. 148
Zu prüfen ist hier
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inwieweit beide Eltern uneingeschränkt zur gemeinsamen Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind, |
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ob ein gemeinsamer Wille zur Kooperation besteht und |
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ob keine sonstigen Gründe vorliegen, die es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu übertragen. |
Rz. 149
In Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht "funktioniert" und es den Eltern nicht gelingt, zu gemeinsamen Entscheidungen im Interesse des Kindes zu gelangen, ist der Alleinsorge eines Elternteils den Vorzug gegenüber dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge zu geben. Denn die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung, die sich als oberste Richtschnur an dem so verstandenen Kindeswohl auszurichten hat (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG), setzt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus und erfordert daher ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen. Zentrale Bedeutung gewinnen damit – objektive – Kooperationsfähigkeit und – subjektive – Kooperationsbereitschaft der Eltern. Ein fehlender Grundkonsens zwischen den Eltern, der zu ständigen Auseinandersetzungen geführt hat und auch in Zukunft weitere Streitigkeiten befürchten lässt, hat ebenso Bedeutung wie die starke Belastung der Kinder durch erhebliche Streitigkeiten der Eltern und die mangelnde Eignung zur Erziehung.
Rz. 150
Vielfach wird auch auf eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern abgestellt.
Bei bestehender gemeinsamer Sorge und beantragter Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf einen Elternteil bedarf es in jedem Fall eines konkreten Sachvortrags dazu, dass und bei welchem Anlass und auf welche Weise der das alleinige Sorgerecht erstrebende, betreuende Elternteil sich bemüht hat, mit dem anderen Elternteil ein vernünftiges, sachbezogenes Gespräch zu führen, hierbei jedoch an dessen Verweigerungshaltung gescheitert ist. Dagegen reicht die bloße örtliche Entfernung zwischen den Wohnsitzen der Eltern im Zeitalter von Handy, Fax und E-Mail nicht aus.
Rz. 151
Praxistipp:
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In der Praxis werden vielfach nur allgemeine und pauschale Vorwürfe vorgebracht. Relevant sind aber allein konkret und detailliert beschriebene Umstände! |
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Eine frühzeitige Einschaltung des Jugendamtes empfiehlt sich immer, weil der Stellungnahme des Jugendamtes letztlich eine entscheidende Wirkung zukommt. |
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Ein Antrag nach § 1671 Abs. 1 BGB ist zurückzuweisen, wenn nicht feststeht, dass die Übertragung der alleinigen Sorge auf den Antragsteller die im Sinne des Kindeswohls bessere Alternative gegenüber der Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge darstellt. |
Rz. 152
Vermögen die Eltern nach der Trennung eine gemeinsame "Kommunikations- und Problemlösungsebene" nicht aufzubauen und ist dies – prognostisch – auch für die Zukunft nicht zu erwarten, ist die gemeinsame elterliche Sorge aufzulösen und die Sorge demjenigen Elternteil zuzuweisen, bei dem das Wohl des Kindes am besten gewahrt zu werden verspricht. Denn in diesem Fall steht d...