Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 67
Die Beschwerde kann gem. § 65 Abs. 3auf neue Tatsachen und Beweismittel gestützt werden (so schon § 23 FGG). Dies beruht darauf, dass das Beschwerdeverfahren als zweite vollwertige Tatsacheninstanz ausgestaltet ist. Neue Tatsachen sind auch solche, die bereits vor der erstinstanzlichen Entscheidung entstanden sind. Unerheblich ist ebenfalls, ob sie schon früher hätten vorgebracht werden können.
Rz. 68
Praxistipp:
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Eine Ausnahme für die praktisch wichtigen Ehe- und Familienstreitverfahren beinhaltet jedoch § 115 FamFG. Danach besteht die Möglichkeit der Zurückweisung neuen Vorbringens (wie zuvor in §§ 615, 621d ZPO). |
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Der Anwalt darf sich also in den Familienstreitverfahren nicht auf die zweite Instanz verlassen, sondern muss – wie nach altem Recht – bereits in erster Instanz umfassend vortragen (Achtung: Haftungsrisiko)! |
Rz. 69
OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.4.2012 – 8 U 80/11 juris
Zitat
Angriffs- und Verteidigungsmittel, die der Partei erst nach der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz bekannt geworden sind, können in der Berufungsinstanz nur dann berücksichtigt werden, wenn sie ihr auch bei zumutbarer Recherche nicht schon während der ersten Instanz hätten bekannt werden können.
KG, Beschl. v. 8.11.2010 – 19 WF 112/10
Zitat
Verfahrenskostenhilfe kann der Mutter für die Beschwerdeinstanz nicht bewilligt werden. Hat ein Rechtsmittel nur aufgrund neuen Vorbringens Erfolg, das bereits in erster Instanz hätte gebracht werden können, kann Verfahrenskostenhilfe wegen mutwilliger Art der Rechtsverfolgung (§§ 76 FamFG, 114 ZPO) nicht gewährt werden (vgl. Zöller/Geimer, 28. Aufl., § 119 ZPO Rn 54a mit Nachw. aus der Rspr.). Dies ist hier der Fall, da die Mutter sich erst im Beschwerdeverfahren auf die Beratung durch ihre frühere Verfahrensbevollmächtigte berufen hat. Wenn sie dies bereits in erster Instanz getan hätte, wäre das Beschwerdeverfahren nicht erforderlich gewesen.
OLG Nürnberg Beschl. v. 3.11.2010 – 11 UF 806/10
Zitat
Zum Nachweis seiner Behauptung hat der Antragsteller zwar die Erholung eines Sachverständigengutachtens angeboten. Dieses Beweisangebot und die ihm zugrunde liegende Behauptung weist der Senat jedoch gemäß § 115 Satz 1 FamFG als verspätet zurück. Gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG richtet sich das Beschwerdeverfahren, soweit besondere Regeln nicht bestehen, nach dem Verfahren in erster Instanz. Hieraus folgt, dass auch im Beschwerdeverfahren § 115 Satz 1 FamFG Anwendung findet (Keidel, FamFG, 16. Aufl. Rn 8 zu § 115). Danach können in Familienstreitsachen, hierzu gehören gemäß § 112 Nr. 1 FamFG auch Verfahren zum Kindesunterhalt gemäß § 231 Abs. 1 FamFG, Angriffs- und Verteidigungsmittel, die nicht rechtzeitig vorgebracht werden, zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichtes die Erledigung des Verfahrens verzögern würde und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht. Die von dem Antragsteller vorgebrachte Behauptung, seine Immobilie habe einen Verkehrswert von höchstens 140.000 EUR, ist als verspätet zurückzuweisen, weil diese Behauptung in grob nachlässiger Weise erst im Termin vom 14.10.2010 aufgestellt worden ist. Grob nachlässig handelt, wer eine jedermann einleuchtende Maßnahme zur Förderung des Verfahrens unterlässt (vgl. Zöller a.a.O. Rn 3 zu § 115 FamFG). Bei Anwendung dieses Bewertungsmaßstabes ist das prozessuale Vorgehen des Antragstellers eindeutig als grob nachlässig zu bewerten. Hierfür spricht insbesondere, dass der Antragsteller mit Verfügung des Senats vom 12.8.2010 auf seine Darlegungs- und Beweislast hingewiesen und ihm ausdrücklich aufgegeben worden war, zu dem Verkehrswert seiner Immobilie Angaben zu machen. Aufgrund des Hinweises des Senates und der entsprechenden Aufforderung, zu einem ganz konkreten Punkt – Verkehrswert seiner Immobilie – Stellung zu nehmen, konnte bei dem Antragsteller keinerlei Zweifel oder Irrtum darüber bestehen, dass der Senat dem Verkehrswert seiner Immobilie entscheidende Bedeutung beimessen werde. Bei dieser Situation war der Antragsteller verfahrensrechtlich gehalten, konkrete und zutreffende Angaben zum Wert seiner Immobilie zu machen. Das Vorbringen, mit welchem der ursprüngliche Sachvortrag korrigiert werden soll, muss daher als grob nachlässig verspätet angesehen werden. Die Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens des Antragstellers würde das Verfahren auch erheblich verzögern, weil, nachdem der Antragsgegner dieses Vorbringen wirksam bestritten hat, die Erholung eines Sachverständigengutachtens notwendig werden würde. Die hierdurch entstehende erhebliche Verfahrensverzögerung muss der Antragsgegner, nachdem es um seinen Mindestunterhalt geht, nicht hinnehmen.