Rz. 17
§ 9 Abs. 1 S. 1 KSchG bestimmt, dass ein Auflösungsantrag dann begründet ist, wenn dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Ein wichtiger Grund i.S. des § 626 Abs. 1 BGB, der zur fristlosen Kündigung berechtigt, macht stets auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG unzumutbar. Andererseits können schon solche Tatsachen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG unzumutbar machen, die für eine fristlose Kündigung nicht ausreichen.
Rz. 18
Die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer kann sich aus der Sozialwidrigkeit der vom Arbeitgeber erklärten Kündigung bzw. aus im Zusammenhang mit der Kündigung stehenden Umständen ergeben. Aber auch Gründe, die erst während des Kündigungsschutzrechtsstreits entstanden sind, können die Unzumutbarkeit weiteren Zusammenarbeitens auslösen.
Rz. 19
Im Zusammenhang mit der Kündigung können sich Auflösungsgründe insbesondere dann ergeben, wenn (zeitgleich mit Ausspruch der Kündigung oder auch im nachfolgenden Kündigungsschutzrechtsstreit zur Begründung der ausgesprochenen Kündigung) als Kündigungsgründe leichtfertig unzutreffende ehrverletzende Behauptungen vom Arbeitgeber über den Arbeitnehmer aufgestellt werden. Ein Auflösungsgrund liegt regelmäßig vor, wenn der Arbeitnehmer ohne Vorhandensein objektiver Tatsachen einer Straftat bezichtigt wird. Als im Laufe des Kündigungsschutzrechtsstreits entstandene Gründe kommen insbesondere Umstände in Betracht, die für einen Empfänger in der Rolle des Arbeitnehmers den Schluss begründen, der Arbeitgeber werde den Arbeitnehmer nach dessen Rückkehr in den Betrieb nicht korrekt behandeln. So liegt es, wenn das Kündigungsschutzverfahren über eine offensichtlich sozialwidrige Kündigung seitens des Arbeitgebers mit einer derartigen Schärfe geführt worden ist, dass der Arbeitnehmer mit einem schikanösen Verhalten des Arbeitgebers und der anderen Mitarbeiter rechnen muss, wenn er seine Tätigkeit wieder aufnimmt. Ein Auflösungsgrund kann auch durch Einschüchterungen während eines Kündigungsschutzverfahrens entstehen, so etwa durch mündliche Äußerungen des Arbeitgebers dahingehend, der Arbeitnehmer werde bei seiner Rückkehr in den Betrieb "sein blaues Wunder erleben".
Rz. 20
Nicht als Auflösungsgrund geeignet ist jedoch die bloße Tatsache, dass der Arbeitnehmer zwischenzeitlich eine andere Arbeitsstelle gefunden hat, auch wenn dies in der Praxis immer wieder die Motivation für einen arbeitnehmerseitigen Auflösungsantrag darstellt. Allein der Umstand, dass ein Kündigungsschutzprozess geführt worden ist, begründet für den Arbeitnehmer ebenfalls noch nicht die Unzumutbarkeit einer weiteren Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses; sonst wären sämtliche Auflösungsanträge ohne weiteres gerechtfertigt. Unzutreffende Rechtsausführungen in Schriftsätzen sind durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt und können daher regelmäßig nicht als Auflösungsgrund herangezogen werden. Auch die Drohung mit einer erneuten, nunmehr aus Sicht des Arbeitgebers nach § 1 KSchG sozial gerechtfertigten Kündigung ist ohne das Vorliegen weiterer Umstände nicht als rechtswidrig anzusehen und macht allein die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer nicht unzumutbar.
Rz. 21
Praxishinweis
Zum Teil wird versucht, die Erfolgsaussichten eines Auflösungsantrages dadurch zu "befördern", dass der Arbeitnehmer oder sein Vertreter – beispielsweise indem er ohne hinreichenden Anlass Strafanzeige gegen den Arbeitgeber oder gegen dessen leitende Mitarbeiter stellt – das Klima zwischen den Parteien verschlechtert. Solche Tatbestände taugen nicht, um einen Auflösungsantrag zu begründen, da sie treuwidrig selbst herbeigeführt worden sind. Die vom BAG, für vom Arbeitgeber provozierte Auflösungsgründe, aufgestellten Rechtsgrundsätze gelten auch in Bezug auf den arbeitnehmerseitigen Auflösungsantrag. Das Gericht wird in solchen Fällen regelmäßig selbst bei eingetretener Zerrüttung und Unzumutbarkeit den Auflösungsantrag abweisen, da dieser sich als Rechtsmissbrauch darstellt.
Rz. 22
Die uneingeschränkte Verfolgung von Weiterbeschäftigungs- und Auflösungsbegehren (als Hauptanträge) ist nicht rechtsmissbräuchlich, aber regelmäßig widersprüchlich. Der Auffassung, dass die erstinstanzliche Verurteilung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung einem vom Arbeitnehmer im Berufungsverfahren gestellten Auflösungsantrag entgegensteht, ist daher jedenfalls für den Fall zu folgen, dass der Weiterbeschäftigungsantrag als Hauptantrag gestellt war und das Auflösungsbegehren sich nicht etwa auf nachträglich erst eingetretene Umstände stützt. Der Kläger könnte erwägen, seinen Weiterbeschäftigungsantrag nur hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Auflösungsantrag zu stellen. Soll allerdings das Auflösungsbegehren ernsthaft, ggf. auch im Rechtsmittelverfahren, verfolgt werden, empfiehlt es sich, von einem Weiterbeschäftigungsantra...