Rz. 70
Die Einkünfte sind nur dann dem Nießbraucher zuzurechnen, wenn er die Tatbestandsmerkmale des § 20 Abs. 1 EStG verwirklicht und seine Rechtsstellung tatsächlich zur Einkünfteerzielung nutzt. Insgesamt ist festzustellen, dass die Voraussetzungen und Grenzen der Zurechnung der Einkünfte entweder zum Nießbraucher oder Nießbrauchbesteller nicht abschließend geklärt sind. Für die Vertragsgestaltung empfiehlt sich daher eine Klausel, die einen Ausgleich regelt, wenn die nachfolgend unter Rdn 71–73 dargestellten Steuerfolgen nicht eintreten. Dann kann es z.B. sinnvoll sein, dass bei Besteuerung der Einkünfte beim Nießbrauchbesteller der Nießbrauch ausdrücklich um die vom Nießbrauchbesteller gezahlten Steuern zu kürzen ist. In der Praxis wird diese Frage jedoch oftmals durch die Abgeltungsteuer keine Bedeutung haben. Gleichwohl mag sich in gewissen Konstellationen ein Unterschied ergeben. Ebenfalls kann im Einzelfall ein Nießbrauch Einfluss auf die Frage haben, wem das wirtschaftliche Eigentum an dem Anteil oder den Aktien gemäß § 39 AO zuzurechnen ist.
1. Vorbehaltsnießbrauch an Kapitalvermögen
Rz. 71
Inwieweit dem Nießbraucher eines GmbH-Geschäftsanteils oder Aktien Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 EStG zuzurechnen sind, ist im Einzelnen nicht abschließend geklärt. Die Finanzverwaltung erkennt in der Praxis (allerdings auf Basis eines sehr alten Erlasses) beim Vorbehaltsnießbrauch bei schenkweise übertragenen Kapitalgesellschaftsanteilen grundsätzlich eine Zurechnung der Einnahmen bei dem Nießbraucher an. Der BFH und der überwiegende Teil der Literaturmeinungen differenzieren bezüglich der Einkünftezurechnung danach, ob dem Nießbraucher während der Dauer des Nießbrauchs die Dispositions- und Verwaltungsbefugnisse über den Kapitalgesellschaftsanteil zustehen und ob er diese auch tatsächlich ausübt. Insofern führt der BFH in seinem Urt. v. 29.3.2001 aus: "Nur wer in die Lage versetzt ist, Marktchancen zu nutzen, das Vermögen zu verwalten, die Modalitäten einer Kapitalanlage zu verändern oder die Leistung durch Zurückziehen des Kapitalvermögens zu verweigern, erzielt selbst Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 EStG…“. Empfängt der Nießbraucher lediglich die Erträge der Anteile, ist er als nicht ausreichend dispositionsbefugt anzusehen, mit der Folge, dass die Kapitaleinkünfte dem Gesellschafter und nicht dem Nießbraucher zugerechnet werden. Werden dem Nießbraucher durch besondere (klarstellende) Vereinbarung die Verwaltungs- und Stimmrechte zugeordnet, kann die Besteuerung der Kapitalerträge beim Nießbraucher erreicht werden. Die Besteuerung unterliegt dem Steuertarif der Abgeltungssteuer in Höhe von 25 % gem. § 32d EStG."
2. Zuwendungsnießbrauch an Kapitalvermögen
Rz. 72
Beim Zuwendungsnießbrauch sind auch nach Auffassung der Finanzverwaltung die Erträge dem Gesellschafter (Nießbrauchsbesteller) zuzurechnen, auch wenn sie dem Nießbraucher zufließen. Der Nießbraucher erzielt keine Einkünfte. In der Fachliteratur wird die (inzwischen wohl als überholt anzusehende) Auffassung der Finanzverwaltung, zwischen dem Vorbehaltsnießbrauch (Zurechnung der Einkünfte beim Nießbraucher) und dem Zuwendungsnießbrauch (Zurechnung der Einkünfte beim Nießbrauchsbesteller) zu differenzieren, zunehmend kritisiert. Es wird gefordert, stattdessen auf die allgemeinen Grundsätze der Einkünftezurechnung, d.h. auf die Nutzung der "Marktchancen" durch den Nießbraucher und dessen Dispositions- und Verwaltungsbefugnisse abzustellen. Im Ergebnis gelten dann – unabhängig von der Art des Nießbrauchs – die gleichen Zurechnungsgrundsätze.
3. Vermächtnisnießbrauch an Kapitalvermögen
Rz. 73
Beim Vermächtnisnießbrauch wird der Nießbrauch am Kapitalvermögen durch einen Erben aufgrund einer letztwilligen Verfügung bestellt. Dies führt (wenn man der alten Ansicht der Finanzverwaltung folgt) ebenso wie der Vorbehaltsnießbrauch grundsätzlich zu einer Besteuerung der Kapitalerträge beim Nießbraucher. Auch hier gelten jedoch die oben genannten Bedenken von Rechtsprechung und Literatur, die in der Regel zu einer Zurechnung zum Gesellschafter (Nießbrauchbesteller) führen sollten.
Praxishinweis
Letztlich ist nicht sicher, ob und inwieweit Erträge dem Nießbraucher ertragsteuerlich zuzuweisen sind. Daher sollte auch hier eine vertraglic...