Rz. 23
Gerade Vermögensdelikte (Unterschlagung, Diebstahl, aber auch Betrug und Untreue) spielen innerhalb der Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft eine besondere Rolle. Hierbei führt einerseits die Berechtigung der Erben am Nachlass zur gesamten Hand und – andererseits – die von der zivilrechtlichen Besitzfiktion (§ 857 BGB) zu unterscheidende, im Strafrecht maßgebliche Gewahrsamslage nach Eintritt des Erbfalls zu Besonderheiten in der strafrechtlichen Beurteilung.
aa) Diebstahl, Unterschlagung
Rz. 24
Übersicht
Tatobjekt: fremde bewegliche Sache; Fremdheit ist zu bejahen, wenn die Sache nicht im Alleineigentum des Täters steht
Tathandlung: Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams (faktischer Begriff mit normativer Komponente), Besitzfiktion des § 857 gilt nicht. Mitgewahrsamsbruch genügt.
Subjektiv muss Vorsatz vorliegen und Absicht rechtswidriger Zueignung (Vorsatz bezüglich endgültiger Verdrängung des Eigentümers – Enteignung; Absicht bezüglich Anmaßung der Eigentümerstellung – Aneignung).
Tatobjekt: fremde bewegliche Sache
Tathandlung: Rechtswidrige Zueignung mittels (eindeutiger) Manifestation des Zueignungswillens oder An-/Enteignung des Eigentümers.
Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
Qualifikation:
veruntreuende Unterschlagung, § 246 Abs. 2 StGB
Privilegierung von Angehörigen, § 247 StGB
Rz. 25
Diebstahl und Unterschlagung schützen beide das Eigentum und setzen somit die Fremdheit der Sache voraus. Dabei ist § 246 StGB (Unterschlagung) als Auffangtatbestand konstruiert. Er greift damit immer ein, wenn es an einer Wegnahme im Sinne von § 242 StGB fehlt.
Beispiel 8a
E hat zwei Söhne S und P. Während P auf einer Geschäftsreise ist, erkrankt E und verstirbt. S durchsucht nach dem Ableben seines Vaters dessen Schreibtisch und findet einen Stapel Inhaberaktien, den S an sich nimmt, um sie für sich zu behalten. Auf die Aufforderung des P zur Herausgabe bestreitet er die Existenz des Papiers.
Beispiel 8b
Die Tochter und spätere Miterbin T stiftet S an, bei der Mutter E einzubrechen. Dieser wird von E überrascht, tötet E und nimmt dann plangemäß wertvolle Münzen mit. Nachdem der Mord der T nicht zurechenbar ist (Exzess), stellt sich die Frage nach ihrer sonstigen Strafbarkeit im Hinblick auf den Wohnungseinbruchsdiebstahl.
Die Inhaberaktien (Beispiel 8a) standen nach dem Ableben des Erblassers im (Gesamthands-) Eigentum der Miterben (§ 1922 BGB). Damit handelte es sich für S um fremde Sachen, § 242 StGB scheidet mangels Fremdheit der Sache nur dann aus, wenn diese herrenlos ist oder im Alleineigentum des Täters steht. Maßgebend für das strafrechtlich geschützte Eigentum sind insoweit die zivilrechtlichen Vorschriften über den Erwerb/Verlust von Eigentum.
Rz. 26
Anders gestaltet sich dies bei dem für das Merkmal der Wegnahme bedeutsamen Begriffs des Gewahrsams. Wegnahme bedeutet den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig eigenen Gewahrsams. Der zivilrechtliche Besitzbegriff im Sinne der §§ 854 ff. BGB deckt sich hiermit nicht vollständig, denn Gewahrsam bedeutet tatsächliche Sachherrschaft auf der Grundlage eines sogenannten Sachherrschaftswillens; diese kann beim Besitzdiener vorliegen, ohne dass dieser dadurch zum Besitzer würde. Umgekehrt wird ein mittelbarer Besitzer regelmäßig keine tatsächliche Sachbeherrschung haben und somit auch keinen Gewahrsam. Angesichts dieser unterschiedlichen Begrifflichkeit gilt die Besitzfiktion des § 857 BGB für den strafrechtlichen Gewahrsamsbegriff nicht. Damit werden die Sachen des Erblassers (Inhaberaktien) zunächst gewahrsamslos bis jemand (zum Beispiel ein Miterbe zugunsten der Erbengemeinschaft) durch Verbringung der Sachen in die eigene Gewahrsamssphäre neuen Gewahrsam begründet. Bis zu diesem Zeitpunkt der Begründung neuen Gewahrsams scheidet ein Diebstahl aus.
Rz. 27
In Beispiel 8a (siehe Rdn 25) fehlt es mangels Bruchs fremden Gewahrsams an einer Wegnahme, so dass der Auffangtatbestand der Unterschlagung greift. Dieser erfordert beim Täter weder (vorherigen) Besitz noch Gewahrsam, sondern stellt allein darauf ab, dass der Täter seinen Zueignungswillen nach außen dokumentiert hat. S hat diesen Willen durch das Bestreiten der Existenz der Inhaberpapiere objektiviert erkennen lassen, denn hierdurch sollte offenkundig die Position der Gesamthandeigentümer verschlechtert werden. S hat somit die fremden Inhaberaktien unterschlagen, da er auch vorsätzlich und mit Zueignungsabsicht handelte.
Etwas anderes gilt hinsichtlich der Gewahrsamsverhältnisse allerdings regelmäßig dann, wenn sich die Sachen des Verstorbenen in einer "generell beherrschten Gewahrsamssphäre" eines Dritten befinden; wenn also (in Beispiel 8a, siehe Rdn 25) der Erblasser zum Beispiel im Seniorenheim lebte oder einen Betreuer hatte, wird nach der Verkehrsanschauung von einer Gewahrsamsbegründung beim Inhaber des Heimes/Betreuers auszugehen sein. Ein genereller bzw. potenzieller Gewahrsamswille wird ganz überwiegend für ausreichend gehalten, so das...