Rz. 136
Gemäß § 371 Abs. 1 AO ist eine Selbstanzeige bei Vorliegen einer einfachen Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 AO möglich. Eine begrenzende Wirkung ergibt sich allerdings aus der Rechtsnatur der Selbstanzeige als persönlichem Strafaufhebungsgrund. Damit wird deutlich, dass die Selbstanzeige des einen dem anderen nicht zugerechnet wird, sondern eine von dritter Seite erklärte Selbstanzeige nur bei zuvor erteilter (möglichst schriftlicher) Bevollmächtigung für den an der Steuerstraftat Beteiligten erfolgen kann. Die Selbstanzeige eines Miterben kommt damit den übrigen Miterben nicht zugute; es sei denn sie haben eine ausdrückliche Vollmacht erteilt. Die Mitglieder der Erbengemeinschaft stehen damit in einem Gefangenendilemma; wer als erster handelt, erreicht für sich Straffreiheit und zeigt zwangsläufig seine Miterben an. Diesen ist aufgrund der Tatentdeckung/Einleitung des Strafverfahrens die Selbstanzeige dann nicht mehr möglich (Sperrgrund).
Dies führt regelmäßig zu Koordinationsschwierigkeiten, die allerdings dann in den Griff zu bekommen sind, wenn ein Bevollmächtigter sämtliche Beteiligte vertritt. Da es sich bei der Selbstanzeige noch nicht um originäre Verteidigungstätigkeit handelt (das Verbot der Mehrfachverteidigung des § 146 StPO gilt insoweit nicht), kann ein bevollmächtigter Rechtsanwalt grundsätzlich mehrere Selbstanzeigende vertreten. Freilich ist im Falle der Unwirksamkeit der Selbstanzeige die weitere Verteidigung des einen oder anderen problematisch; sie kann durchaus zu einem Interessenkonflikt führen. Regelmäßig sollte die Selbstanzeige beim örtlich und sachlich zuständigen Finanzamt erklärt werden, insbesondere weil bei der Frage der Wirksamkeit der Selbstanzeige der Eingang bei der zuständigen Finanzbehörde entscheidend sein soll.
Rz. 137
Aus der Formulierung der Selbstanzeige muss sich ergeben, dass unrichtige oder unvollständige Angaben nachgeholt oder ergänzt werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang keine Hinweise zu Vorsatz oder Leichtfertigkeit zu geben. Diese bergen das Risiko, dass im Falle einer Unwirksamkeit der Selbstanzeige eine auch subjektiv geständige Einlassung des Mandanten bereits abgegeben wurde. Bei einer Selbstanzeige ist der Ansatzpunkt für die Korrektur zu klären.
In Beispiel 36 (siehe Rdn 131) ist zu differenzieren zwischen:
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der Nichtabgabe einer Erbschaftsteuererklärung |
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einer möglicherweise fehlenden Erklärung gem. § 153 AO und |
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den nicht erklärten Kapitaleinkünften 2015–2016. |
Rz. 138
Wie der BFH ausgeführt hat, besteht für denjenigen keine Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 und Abs. 3 ErbStG, dessen Erwerb auf einem vom Nachlassgericht eröffneten notariellen Testament des Erblassers beruht und dieses Testament das Finanzamt in die Lage versetzt hat zu prüfen, ob ein erbschaftsteuerbarer Vorgang vorliegt und in ein Besteuerungsverfahren einzutreten ist. Da dies offenkundig der Fall war, bestand für die Mitglieder der Erbengemeinschaft mangels Aufforderung durch das Finanzamt keine Anzeige- oder Mitteilungspflicht. Ohne eine solche gesetzliche Verpflichtung kommt dann aber ihrem Unterlassen auch kein Erklärungswert zu. Eine Angabe des Gegenstandswertes gegenüber dem Nachlassgericht stellt im Übrigen keine Erklärung gegenüber einer anderen Behörde im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dar; denn "andere Behörden" sind in diesem Sinne nur solche, die steuerlich erhebliche Entscheidungen treffen. Dies ist beim Nachlassgericht gerade nicht der Fall, denn es ist nach § 7 ErbStDVO nur zur Anzeige, zur Übersendung der eröffneten Verfügung von Todes wegen und – soweit bekannt – zur Ermittlung der Höhe und der Zusammensetzung des Nachlasses verpflichtet. Das Gericht trifft aber insoweit keine eigene Entscheidung von steuerlicher Erheblichkeit.
Rz. 139
Damit gab es in Beispiel 36 (siehe Rdn 131) keinen steuerlich erheblichen Sachverhalt, den die Miterben unrichtig erklärt oder verschwiegen hätten. Dann muss aber auch eine Nacherklärungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO ausscheiden, die in Frage steht für den Zeitpunkt des späteren Auffindens neuer/weiterer Nachlassgegenstände. Da dieses Auffinden keinen zusätzlichen Erwerb im Sinne von § 1 ErbStG darstellt, sondern auf dem ursprünglichen Erwerb von Todes wegen beruht, dürfte auch insoweit im Hinblick auf die Ausnahmeregelung im § 30 Abs. 3 ErbStG eine Anzeigepflicht ausscheiden. Derjenige aber, der weder anzeige- oder erklärungspflichtig ist, ist auch nicht gehalten gem. § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO eine Berichtigungserklärung abzugeben.
Es ist festzustellen, dass die (vorschnell) als "Selbstanzeige" bezeichnete Erklärung jedenfalls hinsichtlich etwaiger erbschaftsteuerbarer Vorgänge weder eine Selbstanzeige noch überhaupt eine notwendige Anzeige darstellt. Anderes gilt jedoch hinsichtlich der in Variante A nichterklärten Kapitalerträge, die die Jahre 2016–2017 betreffen.
Häufig ist die Folge von im Ausland bestehenden Schwarzgeldkonten, dass die Erbengemeinschaft nicht nur vor der Frage steht...