Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
Rz. 51
Eine Freistellung für sog. Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen enthält die VO 2023/1066 vom 1.6.2023 über die Anwendung des Art. 101 Abs. 3 AEUV auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (Nachfolgeregelung zur VO 1217/2010). Hiernach sind Vereinbarungen zwischen zwei oder mehr Unternehmen freigestellt,die folgendes regeln:
▪ |
die gemeinsame Forschung und Entwicklung von Vertragsprodukten oder Vertragstechnologie mit oder ohne die gemeinsame Verwertung der dabei erzielten Ergebnisse, |
▪ |
Auftragsforschung und -entwicklung von Vertragsprodukten oder -technologie mit oder ohne die gemeinsame Verwertung der Ergebnisse |
▪ |
die gemeinsame Verwertung der Ergebnisse von Forschung- und Entwicklung in Bezug auf Vertragsprodukte oder -technologien, die von denselben Vertragsparteien aufgrund einer früheren Vereinbarung bzw. Auftragsforschung durchgeführt worden sind |
Freigestellt sind auch die mit deren Durchführung unmittelbar verbundenen und hierfür erforderlichen Bestimmungen, sofern sie sich auf die Übertragung von Rechten des geistigen Eigentums oder Erteilung diesbezüglicher Lizenzen beziehen und diese nicht Hauptgegenstand der Vereinbarung sind.
Rz. 52
Die FuE-GVO enthält eine Aufzählung bestimmter Voraussetzungen, welche die fragliche Vereinbarung erfüllen muss, um in den Genuss der Freistellung zu kommen. So müssen grds. sämtliche Vertragsparteien uneingeschränkten Zugang zu den Endergebnissen der gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten haben. Sofern sich die Vertragsparteien auf eine gemeinsame Forschung und Entwicklung beschränken und keine gemeinsame Verwertung der Ergebnisse vorgesehen ist, muss grds. jeder Vertragspartei das Recht zur selbstständigen Verwertung der Ergebnisse und des vorher bestehenden, für die Verwertung erforderlichen Know-hows zustehen; eine etwaige Vergütung für das Know-how darf dabei nicht so hoch sein, dass sie den Zugang praktisch verhindert. Vom Recht der selbstständigen Verwertung durch alle Vertragsparteien gibt es zwei Ausnahmen:
▪ |
Eine Beschränkung der Verwertung auf eine einzelne Partei ist aufgrund einer "Spezialisierung im Rahmen der Verwertung" möglich, wenn diese Partei verpflichtet ist, Aufträge der anderen Partei(en) zu erfüllen. Hierzu gibt es allerdings zwei Rückausnahmen: Eine Lieferpflicht besteht nicht, wenn entweder ein gemeinsamer Vertrieb vorgesehen ist oder die produzierende Vertragspartei auch das Vertriebsrecht hat. |
▪ |
Eine gemeinsame Verwertung wiederum ist zulässig, wenn sie sich ausschließlich auf Ergebnisse bezieht, die für die Produktion der Vertragsprodukte oder die Anwendung der Vertragstechnologie unerlässlich sind, und die Ergebnisse durch Rechte am geistigen Eigentum – also gewerbliche Schutzrechte, Urheberrechte usw. – geschützt sind oder Know-how darstellen. |
Rz. 53
Die Freistellung gilt nur für die Dauer der Durchführung der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten; im Fall gemeinsamer Verwertung der Ergebnisse gilt die Freistellung für weitere 7 Jahre ab dem ersten Inverkehrbringen der Vertragsprodukte im gemeinsamen Markt. Wenn die beteiligten Unternehmen keine Konkurrenten sind, besteht insofern keine Marktanteilsschwelle. Sofern zwei oder mehr beteiligte Unternehmen jedoch miteinander konkurrieren, greift die Freistellung nur dann ein, wenn der gemeinsame Marktanteil der beteiligten Unternehmen zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung nicht mehr als 25 % beträgt. Hat die Vereinbarung Auftragsforschung zum Gegenstand, so darf der Marktanteil des finanzierenden Unternehmens, sowie aller Unternehmen, mit denen das finanzierende Unternehmen Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen über dieselben Vertragsprodukte oder -technologien geschlossen hat, zusammen nicht mehr als 25 % betragen. Sowohl für konkurrierende als auch für nicht konkurrierende Unternehmen verlängert sich die Freistellung nach Ablauf des zuvor genannten Zeitraums unbefristet, solange der gemeinsame Marktanteil die Schwelle von 25 % nicht überschreitet. Die Freistellung entfällt jedoch insgesamt, wenn die Vereinbarung eine der in der FuE-GVO aufgezählten "schwarzen Klauseln" enthält. Hierzu gehören u.a. die Einschränkung von Forschung und Entwicklung der beteiligten Parteien über den konkreten Vertragsgegenstand hinaus, Beschränkungen zu Produktion- und Absatz, die Festsetzung von Preisen sowie Gebiets- oder Kundenbeschränkungen, wobei es in den einzelnen Fallgruppen wieder Rückausnahmen gibt (s. dazu im Einzelnen Art. 8 VO 2023/1066).