Rz. 38
In Verfahren über eine Beschwerde gegen eine Entscheidung in der Hauptsache erhält der Anwalt nunmehr eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV, die sich grundsätzlich auf 1,6 beläuft.
Rz. 39
Wie in allen Verfahren ermäßigt sich diese Gebühr bei vorzeitiger Erledigung nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3201 VV auf 1,1, also wenn der Auftrag endet, bevor der Rechtsanwalt das Rechtsmittel eingelegt oder einen Schriftsatz, der Sachanträge, Sachvortrag, die Zurücknahme des Antrags oder die Zurücknahme des Rechtsmittels enthält, eingereicht oder bevor er einen gerichtlichen Termin wahrgenommen hat.
Rz. 40
Ebenso ermäßigt sich die Verfahrensgebühr bei vorzeitiger Erledigung nach Anm. Abs. 1 Nr. 2 zu 3201 VV auf 1,1, soweit eine Einigung über nicht anhängige Gegenstände protokolliert oder über solche Gegenstände verhandelt wird.
Rz. 41
Darüber hinaus ist in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Anm. Abs. 2 Nr. 2 zu Nr. 3201 VV eine weitere Ermäßigung vorgesehen. Danach entsteht ebenfalls nur die ermäßigte Verfahrensgebühr in Höhe von 1,1, bei einer sog. "eingeschränkten Tätigkeit". Eine solche eingeschränkte Tätigkeit wiederum liegt nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 3201 VV vor, wenn sich die Tätigkeit auf die Einlegung und Begründung des Rechtsmittels und die Entgegennahme der Rechtsmittelentscheidung beschränkt.
Rz. 42
Der Gesetzgeber wollte nicht in allen Fällen dem Anwalt die 1,6-Verfahrensgebühr für das Beschwerdeverfahren zugestehen. In Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gibt es "einseitige" Verfahren, die keinen "echten" Gegner kennen, der sich beteiligt oder sich gegen ein Rechtsmittel wehrt. Zum Teil gibt es zwar einen "Gegner"; dieser beteiligt sich aber in Verfahren nicht, sodass die Sache "einseitig" bleibt, und es der Anwalt nur mit dem Gericht zu tun hat. Diese Fälle sollen mit einer 1,1-Verfahrensgebühr vergütet werden.
Beispiel 18: Eingeschränkte Tätigkeit im Beschwerdeverfahren
Den Antrag des Antragstellers auf Erteilung eines Erbscheins hat das Nachlassgericht zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss legt der Anwalt Beschwerde ein und verfolgt den Antrag weiter. Das Gericht weist die Beschwerde ohne mündliche Verhandlung zurück und setzt den Geschäftswert auf 10.000,00 EUR fest. Andere Verfahrensbeteiligte sind nicht vorhanden.
Der Anwalt erhält jetzt nur eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3.2.1 Nr. 2 Buchst. b, Nr. 3200, Anm. Abs. 2 Nr. 2 zu Nr. 3201 VV.
1. |
1,1-Verfahrensgebühr, Nrn. 3200, Anm. Abs. 2 Nr. 2 zu Nr. 3201 VV |
|
675,40 EUR |
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(Wert: 10.000,00 EUR) |
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2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
695,40 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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132,13 EUR |
Gesamt |
|
827,53 EUR |
Rz. 43
Schließt sich an die Begründung dagegen eine weitere Tätigkeit an, werden also Schriftsätze gewechselt, kommt es zu einem Termin o.ä., dann greift nicht mehr die Ermäßigung der Anm. Abs. 2 zu Nr. 3201 VV; in diesem Fall erhält der Anwalt vielmehr die volle Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV.
Rz. 44
Die volle Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV wird daher insbesondere dann ausgelöst, wenn
▪ |
über die erste Begründung hinaus weitere Schriftsätze verfasst werden müssen, etwa weil
▪ |
der Gegner sich am Verfahren beteiligt und auf seine Erwiderung repliziert werden muss oder |
▪ |
das Gericht Hinweise gibt, zu denen schriftsätzlich Stellung genommen werden muss. |
▪ |
Die weiter gehenden Schriftsätze müssen dabei nicht die Sache selbst betreffen. Auch weitere Schriftsätze zu Zwischenverfahren oder Zwischenentscheidungen führen zum Anfall der vollen Gebühr, etwa Wiedereinsetzungsanträge, Anträge auf Ablehnung des Richters o.Ä.; |
|
▪ |
ein Termin zur mündlichen Verhandlung, Erörterung oder Anhörung durchgeführt wird, an dem der Anwalt teilnimmt oder zu dessen Ergebnis er Stellung nimmt; |
▪ |
mit dem Gegner Besprechungen zur Erledigung des Verfahrens i.S.d. Vorbem. 3 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 VV geführt werden; |
▪ |
Beweiserhebungen o.Ä. erfolgen. |
Beispiel 19: Umfassende Tätigkeit im Beschwerdeverfahren
Den Antrag des Antragstellers auf Erteilung eines Erbscheins hat das Nachlassgericht zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss legt der Anwalt Beschwerde ein und verfolgt den Antrag weiter. Nach weiter gewechselten Schriftsätzen weist das OLG die Beschwerde ohne mündliche Verhandlung zurück. Der Wert des Nachlasses beträgt 10.000,00 EUR.
Der Anwalt erhält eine volle 1,6-Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3.2.1 Nr. 2 Buchst. b, Nr. 3200 VV.
1. |
1,6-Verfahrensgebühr, Nrn. 3200 VV |
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982,40 EUR |
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(Wert: 10.000,00 EUR) |
|
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2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.002,40 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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190,46 EUR |
Gesamt |
|
1.192,86 EUR |
Rz. 45
Auch die Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV i.V.m. Vorbem. 3.2.1 Nr. 2 Buchst. b VV erhöht sich bei mehreren Auftraggebern gem. Nr. 1008 VV um 0,3 je weiteren Auftraggeber, höchstens um 2,0.
Beispiel 20: Beschwerde gegen eine den Rechtszug beendende Entscheidung, mehrere Auftraggeber
Gegen den Beschluss des Gerichts, mit dem der Antrag dreier Miterben auf Entlassung des Tes...