Rz. 151
Das BAG hat für Langzeiterkrankte unionsrechtskonform anstelle des dreimonatigen Übertragungszeitraums den 15-monatigen Übertragungszeitraum entwickelt (vgl. BAG v. 7.8.2012 – 9 AZR 353/10, juris). Denn nach der Rspr. des EuGH darf der Urlaubsanspruch nicht am Ende des dreimonatigen Übertragungszeitraums erlöschen, wenn ein Arbeitnehmer wegen Arbeitsunfähigkeit, die bis zum Ende des Übertragungszeitraums fortgedauert hat, seinen Urlaub tatsächlich nicht nehmen konnte (EuGH v. 20.1.2009 – C-350/06, C-520/06, juris) Auf dieser Grundlage legt das BAG § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG europarechtskonform so aus, dass gesetzliche Urlaubsansprüche (erst) 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen, wenn ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung und damit an der Realisierung des Urlaubsanspruchs gehindert war.
Rz. 152
Als neue Frage hatte der 9. Senat des BAG den EuGH um Vorabentscheidung ersucht, ob das Unionsrecht das Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei einer ununterbrochen fortbestehenden Erkrankung des Arbeitnehmers 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können (vgl. BAG v. 7.7.2020 – 9 AZR 401/19 [A], juris Ls).
Rz. 153
In Umsetzung der EuGH-Entscheidung (EuGH v. 22.9.2022 – C-518/20 und C-727/20, juris) zur richtlinienkonformer Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG ist das BAG in der Entscheidung vom 20.12.2022 zu dem Ergebnis gekommen, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub aus einem Urlaubsjahr, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aus gesundheitlichen Gründen an der Inanspruchnahme seines Urlaubs gehindert war, regelmäßig nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlischt, wenn der Arbeitgeber ihn rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen (vgl. BAG v. 20.12.2022 9 AZR 245/19, Pressemitteilung 47/22). Danach verfällt weiterhin der Urlaubsanspruch mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten. Für diesen Fall kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist, weil diese nicht zu Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können (Fallkonstellation 1). Anders verhält es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist. In diesem Fall (Fallkonstellation 2) setzt die Befristung des Urlaubsanspruchs regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen (vgl. BAG v. 20.12.2022 9 AZR 245/19 Pressemitteilung 47/22). Der Unterschied liegt also darin, ob der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er arbeitsunfähig erkrankte, oder nicht.