1. Gefährdung ausgeschlossen
Rz. 86
Zur Einstufung als Regelverstoß ist zwar eine konkrete Gefährdung nicht erforderlich. War jedoch eine Gefährdung des Querverkehrs geradezu ausgeschlossen, z.B. weil dieser noch nicht in den geschützten Bereich einfahren durfte, wird i.d.R. ein grober Verstoß zu verneinen sein (KG NZV 2010, 361; NZV 2016, 442; OLG Düsseldorf DAR 2015, 215; OLG Bamberg zfs 2016, 50). Andernfalls muss das Urteil dem Rechtsbeschwerdegericht die Beurteilung erlauben, ob das Gewicht der Pflichtverletzung dem Typus des Regelfalles entsprochen hat (BayObLG DAR 1997, 28; zfs 2003, 519), was nach Auffassung des OLG Dresden (DAR 2002, 522) für an Baustellenampeln begangene Rotlichtverstöße, bei denen wegen der Art der Ampelschaltung nicht einmal eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bestand, kaum bejaht werden kann.
2. Baustellenampel
Rz. 87
Ein qualifizierter Rotlichtverstoß wird i.d.R. auch bei einem Anhängen an den Vordermann an einer Baustellenampel ausscheiden (OLG Köln NZV 1994, 41), insbesondere wenn es sich um eine einspurige Baustelle handelt (OLG Hamm NZV 1994, 369; OLG Köln DAR 1994, 249; OLG Düsseldorf NZV 1995, 35; OLG Oldenburg zfs 1995, 75) und der Gegenverkehr nicht gefährdet wird (BayObLG DAR 1997, 28; OLG Dresden DAR 2002, 522; OLG Brandenburg zfs 2003, 471).
Rz. 88
Das ist aber dann anders zu beurteilen, wenn der Betroffene an bereits haltenden Fahrzeugen vorbeigefahren ist (OLG Düsseldorf NZV 2000, 89).
3. Schritttempo zu verkehrsarmer Zeit
Rz. 89
Ein Regelfall wird außerdem bei nächtlichem, zu verkehrsarmer Zeit und mit Schrittgeschwindigkeit begangenem Verstoß meist nicht zu bejahen sein (OLG Düsseldorf zfs 1995, 394; OLG Brandenburg zfs 2003, 471).
4. Fußgängerampel
Rz. 90
Kein Fall für ein Regelfahrverbot ist es, wenn der Betroffene das Rotlicht einer Fußgängerampel überfährt, nachdem er die Fußgänger hat passieren lassen (OLG Karlsruhe zfs 1996, 274; OLG Frankfurt zfs 2001, 42; a.A. allerdings das BayObLG NZV 1997, 320 und das OLG Hamm DAR 2010, 30).
Rz. 91
Das OLG Celle (zfs 1997, 355) verneint einen Regelfall jedenfalls dann, wenn bei mehreren möglichen Fahrtrichtungen die Ampel der anderen Fahrtrichtung noch auf Grün steht und deshalb Fußgänger den Übergang nicht benutzen dürfen. Ähnlich auch das KG (DAR 1997, 361) für den Fall, dass der Fahrer bei Rot an der Haltelinie anhält und erst dann mit dem Abbiegen beginnt, wenn der Querverkehr anhält und er Fußgänger weder gefährdet noch behindert.
5. Leichte Unaufmerksamkeit
Rz. 92
Immer wenn es sich nicht offensichtlich um den typischen Rotlichtverstoß handelt, ist zu prüfen, ob nicht ein Ausnahmefall vorliegt (so z.B. bei durch Adressensuche abgelenktem Auslieferfahrer: OLG Koblenz DAR 1994, 287; bei einem Fahrer, der an einer Fußgängerampel anhält und nach dem Überqueren der Fußgänger aus Unachtsamkeit bei Rot weiterfährt: OLG Düsseldorf DAR 1995, 302; ähnlich OLG Hamm DAR 1995, 501); wie überhaupt bei einer bloßen Unaufmerksamkeit geklärt werden muss (z.B. bei einem Rechtsabbieger, der die Fußgängerampel übersehen hat: BayObLG NZV 1994, 287), ob es sich nicht lediglich um eine leichte Unaufmerksamkeit handelt, denn dann kann auch bei Vorliegen eines Regelfalles die Erhöhung der Geldbuße ausreichen: OLG Hamm zfs 1995, 152; OLG Düsseldorf zfs 1995, 234. Bei einem Rotlichtverstoß an einer belebten innerstädtischen Kreuzung soll allerdings grundsätzlich nicht von einem Augenblicksversagen ausgegangen werden können (KG, 24.7.2019 – 3 Ws (B) 217/19).
Nach abzulehnender Auffassung des OLG Karlsruhe (NZV 2007, 213) soll auch dann, wenn sich ein Kraftfahrer durch ein anderes liegengebliebenes Fahrzeug hat ablenken lassen, kein Augenblicksversagen anzunehmen sein.
6. Wahrnehmungsfehler bzw. Mitzieheffekt
Rz. 93
Ein grober Verstoß wird vor allem in Fällen offensichtlicher Wahrnehmungsfehler nicht in Frage kommen. So z.B. wenn ein bereits seit längerer Zeit an einer auf Rot stehenden Ampel anhaltender Kraftfahrer anfährt, weil er die für eine andere Fahrtrichtung auf Grün umspringende Ampel auf seine Fahrtrichtung bezieht, sogenannter Mitzieheffekt (OLG Düsseldorf DAR 2000, 41; OLG Karlsruhe NZV 2004, 46; OLG Koblenz NZV 2004, 272; KG DAR 2014, 395), dies allerdings nur, wenn er zunächst rechtstreu auf seiner Fahrspur angehalten hatte (KG DAR 2019, 394).
Ein grober Verstoß kann auch dann zu verneinen sein, wenn die Ampel den Querverkehr nicht schützt (OLG Bamberg DAR 2009, 653).
Rz. 94
Das kann auch im Falle eines dadurch bedingten Frühstarts (OLG Karlsruhe, NZV 2010, 419) und sogar dann gelten, wenn es zu einem Unfall kommt (OLG Hamm NZV 2001, 221; KG NZV 2002, 50).
Rz. 95
Von einem groben Verstoß kann namentlich dann keine Rede sein, wenn der Irrtum des Betroffenen durch eine vorschriftswidrige Anbringung der Lichtzeichenanlage begünstigt wurde (OLG Stuttgart DAR 1999, 88).
Beachte allerdings, dass das BayObLG (NZV 2002, 517) bzw. das OLG Bamberg (DAR 2008, 596) Mitzieheffekte sehr viel kritischer beurteilt, vor allem wenn sich der Betroffene nur an seinem Vordermann orientiert hat (DAR 2005, 349).
7. Irrige Annahme eines Ampeldefektes
Rz. 96
Eine Rotlicht zeigende Ampel darf nur nach längerer Beobachtungszeit außer Acht gelassen werden. ...