Rz. 723
Für nicht abgeführte Umsatz-, Gewerbe-, Körperschaft- und pauschalierte Lohnsteuer haftet der Geschäftsführer nach § 69 AO persönlich, wenn die Gesellschaft zur Zeit der Voranmeldung bzw. im Zeitpunkt der Fälligkeit der unterlassenen (Voraus-)Zahlung noch genügend Liquidität hatte. Erforderlichenfalls muss der Geschäftsführer bei Liquiditätsproblemen bereits vor Fälligkeit der Steuer Vorsorge für die spätere Tilgung treffen. Der Geschäftsführer verletzt also seine Pflicht mit der Folge persönlicher Haftung, wenn er sich durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger außer Stande setzt, die absehbar künftig fällig werdende Steuer (hier USt am 10. des Folgemonats) zu tilgen.
Der Geschäftsführer der GmbH haftet außerdem für die rechtzeitige Abgabe der Gewerbesteuererklärung der GmbH.
Rz. 724
Für die persönliche Haftung des Geschäftsführers für Umsatz-, Gewerbe- und pauschalierte Lohnsteuer hat der BFH das Prinzip der Haftung nur entsprechend der anteilmäßigen Tilgung entwickelt, weil er bei unzureichenden Zahlungsmitteln nur verpflichtet ist, die fälligen Steuern in etwa der gleichen Höhe zu tilgen wie die fälligen Forderungen anderer Gläubiger. Dieses Prinzip gilt auch für die Hinterziehungshaftung und für Verspätungszuschläge und für die Umsatzsteuerabzugsbeträge i.S.d. § 18 Abs. 8 UStG, nicht jedoch für die Haftung wegen nicht abgeführter Lohnsteuer, da sie eine fremde Schuld ist. Außerdem ist die gezahlte Lohnsteuer bei der Ermittlung der Haftungsquote für die Umsatzsteuer weder bei den Gesamtverbindlichkeiten noch bei den geleisteten Zahlungen zu berücksichtigen.
Nach dem Prinzip der Haftung entsprechend der anteilmäßigen Tilgung haftet der Geschäftsführer für rückständige Steuern persönlich in dem Maße, in dem er andere Gläubiger noch besser befriedigt hat als das FA. Der Beginn des Haftungszeitraums ist der Fälligkeitszeitpunkt der ältesten nicht mehr bezahlten Steuer, das Ende des Haftungszeitraums ist der Zeitpunkt der Insolvenzentscheidung (Eröffnung, ggf. Einsatz eines vorläufigen Verwalters oder Abweisung mangels Masse). Für den Haftungszeitraum erfragt das FA sodann auf entsprechendem Formular vom Geschäftsführer, ob und ggf. in welcher Höhe die sonstigen Gläubiger noch bedient wurden. In dem Maße, in dem das FA zu einem geringeren Anteil als die sonstigen Gläubiger befriedigt wurde, greift die persönliche Haftung des Geschäftsführers ein.
Rz. 725
Beispiel (nicht abgeführter USt)
Bei Beginn des Haftungszeitraums (Fälligkeit der ältesten offenen Steuer oder letzte Zahlung an das FA) Verbindlichkeit USt |
200,00 EUR |
sonstige Verbindlichkeiten |
2.000,00 EUR |
Zahlungen auf USt bis Ende des Haftungszeitraums (Insolvenzeröffnung oder bis zum Zeitpunkt der letzten vom Geschäftsführer vorgenommenen Zahlung an irgendeinen Gläubiger |
10,00 EUR |
|
|
Zahlungen auf sonstige Verbindlichkeiten |
430,00 EUR |
Tilgungsquote 440,00 von 2.200,00 EUR aller Verbindlichkeiten = 1/5 Gleichbehandlung des FA mit den anderen Gläubigern USt: 1/5 von 200,00 EUR = |
40,00 EUR |
abzgl. erbrachte Zahlung auf USt |
10,00 EUR |
persönliche Haftung/Inanspruchnahme des Geschäftsführers |
30,00 EUR |
Rz. 726
Praxishinweis
Aufgrund von Nichtanwendungserlassen gilt dieses Prinzip nicht auch für die Lohnsteuer, da sie eine fremde Schuld ist. Außerdem ist die gezahlte Lohnsteuer bei der Ermittlung der Haftungsquote für die USt weder bei den Gesamtverbindlichkeiten noch bei den geleisteten Zahlungen zu berücksichtigen.
Rz. 727
Für die Fragen persönlicher Haftungen des Geschäftsführers für nicht abgeführte betriebliche Steuern auch bei insolvenzrechtlicher Anfechtbarkeit bzw. bei Kollision mit den Zahlungsverboten nach § 15b InsO sei auf die vorstehend bei "Lohnsteuer" gemachten Ausführungen verwiesen (Rdn 714).
Rz. 728
Darauf hinzuweisen ist, dass die Haftung des Geschäftsleiters nach §§ 34, 69 AO nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass die zugrundeliegende Steuerforderung in einem Insolvenzplan abschließend geregelt (und teilweise befriedigt) wird, denn der Insolvenzplan berühre den Bestand der Steuerforderung nicht, sei kein Erlass und stehe daher der weiteren Inanspruchnahme des Haftungsschuldners nicht entgegen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das Finanzamt bei der steuerlichen Gewinnermittlung nicht an die rechtlichen Beurteilungen gebunden ist, die der Steuerpflichtige der aufgestellten (Handels-)Bilanz zugrunde gelegt hat. Ggf. ist dem Geschäftsführer zu raten, bereits gegen die Feststellung unberechtigter Steuerforderungen zur Insolvenztabelle vorzugehen, da im Haftungsprozess der materiell-rechtliche Bestand der Steuerforderung nicht mehr korrigiert werden kann.